„Nur gut sein reicht nicht“

Marika Lulay zählt zu den wenigen Frauen im Vorstand eines international erfolgreichen IT-Unternehmens. Seit 14 Jahren führt sie das operative Geschäft bei dem Stuttgarter Technologiekonzern GFT, der IT-Lösungen für Banken und Finanzdienstleister anbietet. Vor 30 Jahren hat Lulay an der Hochschule Darmstadt ihren Abschluss als Jahrgangsbeste gemacht. Schon damals war die Studentin im neuen Studiengang Informatik eine Ausnahme. Als Alumna hat sie nun erstmals wieder ihre alte Hochschule besucht.

Leistung und Wissen sind Marika Lulay wichtig - nicht Geschlecht oder Quote. Fragen, wie sie es als Frau in den Vorstand eines bedeutenden IT-Unternehmens geschafft hat, nerven sie. Weil es sich so anhört, als würde ihre Kompetenz in Frage stehen. Sie lässt sich ungern auf eine Frauenrolle reduzieren, der sie ohnehin nie entsprochen hat. Angebracht ist eher die Frage, wie sie sich seit 14 Jahren in einer rasant wachsenden und sich verändernden Branche an der Spitze eines internationalen Unternehmens hält, das innerhalb weniger Jahre seine Belegschaft fast vervierfacht und weltweit Firmen hinzugekauft hat. Lulay hat die Verantwortung für knapp 4.000 Mitarbeiter in zwölf Ländern. Im Geschäftsjahr 2015 erzielte die GFT Gruppe einen Umsatz von rund 374 Millionen Euro. Aber vielleicht hat das doch etwas zu tun mit weiblichem Führungsstil und der Intuition für Ton, Tempo oder der richtigen Entscheidung zur rechten Zeit. "Nur gut sein reicht nicht", sagt Marika Lulay. Das Timing sei wichtig und der Wille, zu gewinnen und sich dem Wettbewerb zu stellen.

"Ich kann das und ich will das", so beschreibt die 53-jährige Heppenheimerin ihre Persönlichkeit. Grenzen sind Ansporn, nicht Hindernis. "Wer mir sagt, das schaffst Du nicht, drückt einen roten Knopf bei mir." Den aktivierte vermutlich auch der Professor für Elektrotechnik, der Mitte der 80er Jahre an der h_da, früher Fachhochschule Darmstadt, un­terrichtete und dessen Kurse Lulay für das Fach Technische Informatik belegen musste. Die ehemalige Fachhochschule war in dieser Zeit vorwiegend auf männliche Studenten ausgerichtet.

Frauentoiletten gab es nur auf jedem zweiten Stock und in der Informatik-Vorlesung saßen außer Marika Lulay nur zwei weitere Kommilitoninnen. Der E-Technik-Dozent grüßte kollektiv mit "Meine Herren" - auch wenn in der ersten Reihe die drei einzigen Studentinnen saßen. "Er hat uns unterstellt, wir wären nur an der Hochschule, weil wir uns gutverdienende Ingenieure angeln wollten", erzählt Lulay.

Das ärgerte die junge Studentin sehr, "weil es mit dem Geschlecht und nichts mit unserem Wissen zu tun hatte". Dabei hatte sie sich für Informatik entschieden, weil es ein neues, spannendes Fach war und Marika Lulay sich schon seit der Schule für Naturwissenschaften interessierte. Eigentlich hatte die heutige IT-Chefin Biologie oder Humangenetik studieren wollen, doch darauf lag ein hoher NC und die Plätze waren äußerst rar. So reihte sie sich in die Warteschleife für den Biostudienplatz ein und jobbte ein Jahr lang. Ihr Freund hatte sich da schon an der TU Darmstadt für Maschinenbau ein­geschrieben. Irgendwann dauerte ihr das alles zu lange und so entschied sie sich für die Informatik. "Ich wollte bis 30 einen Abschluss machen, ein paar Jahre arbeiten und eine Familie gründen." Die Entscheidung für die FH war daher eine pragmatische: "Ich wollte schneller, kürzer studieren."

Bereut hat Marika Lulay diese Wahl nie. Informatik war ihr Fach: "Ich mag die intensive Konzent­ration, die Fokussierung auf einen Aspekt - notfalls bis nachts um drei." Und spät wurde es oft, weil das Rechenzentrum in den 80er Jahren klein war, die Kapazitäten begrenzt. "Da blieb meist nur abends genug Zeit für unsere Aufgaben." Auch heute noch entspannt sie vom Business-Stress oftmals nachts bei einem Computerspiel. "Das kostet weniger Energie, als ein Buch zu lesen", scherzt sie.

Karriere in einem IT-Vorstand zu machen, war eigentlich nie das Ziel - obwohl sie als Jahrgangsbeste ihr Studium abschloss. Doch dann drückte wieder jemand auf den roten Knopf. Lulay hatte sich bei der BASF beworben. Der Personaler dort erklärte ihr, dass sie als Frau mit einem FH-Abschluss maximal Unterabteilungsleiterin werden könne. Sie wollte sich aber nicht schon wieder Grenzen aufzeigen lassen. Zusammen mit einem Kommilitonen machte sie sich mit einer Bausoftware zunächst selbstständig. Später wechselte sie dann zur Darmstädter Software AG, damals Deutschlands erfolgreichste IT-Firma. Die Arbeit machte ihr Spaß. Sie stieg bis zur Abteilungsleiterin auf, war verantwortlich für mehrere Geschäftsstellen. Sie stieß an keine "gläserne Decke", sagt sie, wurde nicht benachteiligt, bloss weil sie eine Frau war. "Allein die Qualität der Arbeit zählte, vermutlich auch, weil die IT-Branche jung war und Fachkräfte sehr begehrt."

Mit 28 hatte sie ihr eigenes Team, "alles flog mir zu". Sie verdiente viel Geld und als sie schwan­ger wurde und der Sohn zur Welt kam, blieb sie nur drei Monate daheim. Ihr Mann gab stattdessen seine Arbeit als Maschinenbauer auf und blieb zuhause, um sich um den Nachwuchs zu kümmern - 20 Jahre lang. Wieder ein Rollenwechsel in der Vita von Marika Lulay und kein leichter, denn nun war es ihr Mann, der mit Vorurteilen und festgefahrenen Denkweisen zu kämpfen hatte.

Die IT-Fachfrau wechselte zu einem US-Software Unternehmen, war Vize-Präsidentin für Zentral- und Mitteleuropa, bevor sie 2002 zum Mittelständler GFT als Vorstandsmitglied ging. Lulay liebt die Herausforderung und neue Aufgaben. Den schnellen Wandel in der Branche fürchtet sie nicht: "Die Dynamik hält wach", findet sie - und hofft, dass sie es frühzeitig merkt, falls es einmal nicht mehr so sein sollte. Bodenhaftung und der Kontakt zu den Mitarbeitern sind ihr sehr wichtig.

Nun nach 30 Jahren ist sie auf Einladung der zentralen Alumni-Koordinierungsstelle der Hochschule Darmstadt erstmals wieder an ihre alte Hochschule zurückgekehrt. "Alles hat sich total verändert", staunt Marika Lulay. Zusammen mit h_da-Präsident Prof. Dr. Ralph Stengler, Informatik-Professoren und dem Alumni-Beauftragten des Fachbereichs, Prof. Dr. Jens-Peter Akelbein, ließ sie sich den Campus und die neuen Gebäude zeigen und fachsimpelte über die Entwicklung in der Informatik. "Ich würde mich auch heute wieder für die Hochschule ent­scheiden", betont sie. "Ich habe mich hier wohl gefühlt". Ihr mittlerweile erwachsener Sohn studiert übrigens jetzt auch an der h_da. 

Autorin

Astrid Ludwig