Wandbild im Erdgeschoss des Hochhauses

Wandbild

Akribische Detektivarbeit

Von wem stammt eigentlich das Wandbild im Foyer des Hochhauses? Professor Klaus Frank begab sich auf eine Spurensuche mit unerwartetem Ausgang Seit einem halben Jahrhundert hängt es an der Wand – seit der Eröffnung der Staatlichen Ingenieurschule, wie die Hochschule Darmstadt Mitte der 1960er Jahre hieß. Groß, monumental, ein scheinbar abstraktes Gewirr aus Stanzblechen und Metallteilen. Generationen von Studierenden haben seither davor gesessen, Kaffee getrunken oder waren in Lehrbücher vertieft. Doch keiner wusste mehr so genau, was das riesige Relief im Foyer des Hochhauses auf dem Campus an der Schöfferstraße eigentlich darstellt, geschweige denn, wer es erschaffen hat. Das ließ dem pensionierten Professor für Elektrotechnik, Klaus Frank, keine Ruhe. Nach monatelanger Detektivarbeit fand er heraus, dass das Wandbild von dem bekannten Darmstädter Bildhauer Gotthelf Schlotter stammt. Eine Spurensuche mit unerwartetem Ausgang: Denn Frank stieß auch auf den netten Zufall, dass Schlotters Enkel Tobias heute an der Hochschule Maschinenbau studiert.

Ein unsigniertes Kunstwerk gibt Rätsel auf

Alles begann mit einer Unterhaltung im Sommer 2013 über den Gartenzaun hinweg. Im heimischen Mühltaltraf der 82-jährige Klaus Frank auf seinen Nachbarn, den Bauunternehmer und Galeristen Reinhard Lattemann. Lattemann war von der Hochschule Darmstadtmit der Restaurierung und dem Umhängen des Wandreliefs im Foyer des Hochhauses, im sogenannten Glaskasten, betraut worden und Professor Frank hatte gerade beim Aufräumen seines Arbeitszimmers alte Unterlagen aus der Anfangszeit der Fachhochschule entdeckt. Darunter befanden sich Fotos des besagten, unsignierten Kunstwerkes. Diese waren im Wintersemester 1967/68 im Foyer entstanden, wo der gerade eingestellte junge Dozent Frank eine Ausstellung zum ‚1. Darmstädter Ingenieurschultag‘ für die Fachgebiete Elektrotechnik und Maschinenbau zu organisieren hatte.

„Das war der Anstoß“, sagt Klaus Frank, der drei Jahrzehnte lang an der h_da Elektrotechnik lehrte. Seine Neugierde und sein wissenschaftlicher Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, waren geweckt. Der Professor rief ehemalige Kollegen an, setzte sich in Verbindung mit dem Stadtarchiv Darmstadt, Denkmalschutz, der städtischen Pressestelle, nahm Kontakt auf zu Darmstädter Galerien, Künstlern, Künstlervereinigungen und durchforstete den dicken Wälzer zur ‚Kunst im öffentlichen Raum‘. Auch mit pensionierten Mitarbeitern des örtlichen Hochbauamtes und des Staatsbauamtes suchte er das Gespräch. Manche Wege erwiesen sich als Sackgasse, doch es ergab sich eine erste Spur.

Der Bau des 15-stöckigen Hochhauses zwischen1963 und 1968 auf dem ehemaligen Exerzierplatz Darmstadts war eine kleine Sensation. Wolkenkratzer waren vor einem halben Jahrhundert in Europa unüblich. Wie historische Unterlagen des Staatlichen Hochbauamtes Darmstadt belegen, schrieb der damalige Regierungsbaudirektor Hermann Tuch dem „turmartigen Hochhaus“ jedoch die bewusste Dominanz der ganzen Bauanlage zu. „In seiner kühnen und für ein Schulhaus ungewohnten Gestalt ist es Sinnbild dafür, daß es ohne auf gründlichem Wissen und sicherem Können ruhenden Wagemut keine Ingenieure geben kann“, formulierte er.

Im Erdgeschoss erwähnte Tuch die große Eingangshalle und die künstlerische Gestaltung der Stirnseite. Kunst am Bau gehörte zur Bauauflage. Zwar fand sich kein Wort über den Künstler selbst, aber Hinweise, was das Relief darstellen sollte: Nämlich die Ingenieurschulanlage Mitte der 1960er Jahre aus der Vogelperspektive – einschließlich Hochhaus, Atrium/Bauschule, Mensa, Labore, Grünanlagen, Wegenetz und Hausmeisterwohnungen. Ein Lichtblick in der Recherche und „eine schöne Idee, den Grundriss künstlerisch umzusetzen“, so Frank.

Ein Puzzleteilchen war an seinen Platz gerückt, ein weiteres sollte folgen. Der gebürtige Breslauer entdeckte, woher die Stanzteile, Kupferbleche und Metallobjekte des Reliefs stammten. „Der Anstoß fürdie Gestaltung des Wandbildes kam mit Sicherheit aus dem Kollegium der damaligen Ingenieurschule. “Frank hatte den Kontakt gesucht zu Professor Wolfgang Dolejsky, den Sohn von Oberbaurat August Dolejsky, der ebenfalls an der Ingenieurschule unterrichtete. Der Sohn berichtete, dass sein Vater nach 1945 zusammen mit dem Maschinenbau-Kollegen und kommissarischen Leiter der Ingenieurschule, Oberbaurat Finkbeiner, mit einem Leiterwagen durch Darmstadt gezogen sei, um bei Elektro- und Maschinenbau-Firmen alte Bauteile als Anschauungsmaterial für den Unterricht und für Reparaturen zu sammeln. Der Vater, erinnerte sich Dolejsky, habe bis zu seinem Tod Stanzbleche aus dieser Zeit auf seinem Schreibtisch aufbewahrt. Eine Geschichte, die einen guten Einblick in die damalige Zeit gibt „undwunderbar zum Praxisbezug der Ingenieurschule passt“, so Frank.

Gotthelf Schlotter – bekannt für Tierskulpturen

Aus dem ehemaligen Kollegium kam noch ein weiterer Hinweis, endlich zum Künstler selbst. Professor Kurt Flechsenhar vom Fachbereich Bauwesen nannte auf Nachfrage als möglichen Schöpfer Eberhard Schlotter. Ein Name, an den auch Frank sich vage zu erinnern glaubte. Die Brüder Eberhard und Gotthelf Schlotter waren in Darmstadt und darüber hinaus bekannte Künstler. Eberhard war Maler und Mitbegründer der Darmstädter Sezession, Gotthelf Bildhauer. Mit Eberhard Schlotter, so ergab sich der Zufall, war Franks Frau sogar als Kind bekannt, weil beide Familien in Mühltal lebten.

Über die Sezession nahm Frank Kontakt auf und erhielt die Adresse des seit vielen Jahrzehnten in Spanien lebenden Eberhard Schlotter. An ihn schrieb er und schilderte sein Anliegen. Im Januar 2014 erhielt er prompt Antwort. „Das Wandbild, von dem Sie sprechen, ist mit Sicherheit von meinem Bruder“, schrieb der Maler. Der entscheidende Hinweis, gerade noch rechtzeitig. Kurze Zeit darauf starb Eberhard Schlotter. Der Bruder, Gotthelf Schlotter, lebte bereits seit 2007 nicht mehr. Der Bildhauer war für seine Tierskulpturen bekannt. 1972 hatte er die Johann-Heinrich-Merck-Ehrung der Stadt Darmstadt erhalten und nach seiner Kleinplastik ‚Kranich mit dem Stein‘ ist sogar der Kranichsteiner Literaturpreis des Deutschen Literaturfonds geformt. Es waren vor allem Vögel, die es dem Künstler angetan hatten. Eine abstrakte Vogelplastik hängt etwa an der Fassade der Hauptfeuerwehrwache der Stadt Offenbach, aber auch in Darmstadt finden sich Freiplastiken Schlotters. 1973 wurde eine Säule von ihm vor dem Nordbad aufgestellt.

Weil sich sein Werk motivisch so sehr von dem Wandbild im Glaskasten unterscheidet, kam wohl niemand früher auf die Idee, dass das Relief von Gotthelf Schlotter stammen könnte. „Es war eine Auftragsarbeit, die er wohl nicht als kreative Eigenleistung gesehen hat, weshalb er das Relief vielleicht nicht signierte“, vermutet Frank. Selbst Professor Klaus Doderer von der Goethe-Universität Frankfurt, der ein Buch über Schlotters Werk verfasst hat, konnte das Wandbild bisher nicht dem Bildhauer zuordnen.

Im Telefonbuch stieß Professor Frank auf Tobias Schlotter, den Enkel von Gotthelf Schlotter. Der 25-Jährige studiert Maschinenbau an der h_da. Oft saß er im Glaskasten, trank Kaffee und las – nicht wissend, dass das Kunstwerk an der Wand von seinem Opa stammt. „Das habe ich erst durch den Anruf von Professor Frank erfahren.“ Und manchmal fügt sich alles zusammen. Der Enkel studiert nämlich nicht nur in Darmstadt, er lebt auch in der Werkstatt seines Großvaters an der Kranichsteiner Straße. Dort, wo der Bildhauer seine Skulpturen schuf, büffelt Tobias Schlotter heute Maschinenbau-Inhalte. Der 25-Jährige war noch jung, als Gotthelf Schlotter starb, doch er erinnert sich gut an seine Besuche als Kind in dem Atelier im Garten des Wohnhauses. „Dort lagerten überall Skulpturen, Skizzen, Bleistiftzeichnungen und Drahtmodelle.“ In der Werkstatt durften er und sein älterer Bruder Figuren aus Ton formen, die der Großvater dann im Ofen brannte.

Das Relief im Foyer betrachtet der Enkel nun mit anderen Augen. „Ich finde es gelungen. Es ist jetzt nicht mehr nur irgendein Kunstwerk an der Wand. “Auch seinen Kommilitonen berichtet er stolz davon. „Es hat ja schließlich nicht jeder einen Opa, der ein Kunstwerk an der eigenen Hochschule geschaffen hat“, sagt er lachend.

Seit kurzem informiert auf Franks Initiative hin offiziell ein Hinweisschild im Foyer über den Künstler, das Wandbild und die Geschichte hinter dem Kunstwerk. „Die Erläuterungen sind wichtig für das Verständnis. Das Relief ist ein Dokument dieser Zeit“, freut sich der Professor. Die Detektivarbeit hat ihm Spaß gemacht, er sinnt bereits über das nächste Projekt nach.

Autorin

Astrid Ludwig

campus_d

Dieser Artikel stammt aus der Hochschulzeitung campus_d. Weitere Artikel und alle Ausgaben der campus_d finde Sie auf der Seite Presse und Publikationen.