Philomena Höltkemeier

Was kann eigentlich daraus werden, wenn man an der Hochschule Darmstadt einen Abschluss in Digital Media und Media Direction gemacht hat? Philomena Höltkemeier beweist da viel Kreativität: Die Alumna der h_da hat als Drehbuch-Lektorin in Hollywood gearbeitet, berät Filmschaffende in Frankfurt und Darmstadt in der richtigen Dramaturgie und gibt all jenen Inspiration, denen gerade die zündende Idee fehlt. Die 30-Jährige ist mittlerweile hauptberuflich Muse.

Wie das klingt: Thyra Philomena Loredana Constanze. Wie Schwestern aus einem Jane Austen Roman oder mystische Lichtgestalten in einem Shakespeare Drama. Thyra ist die Mächtige, Constanze die Beständige, Loredana die Lorbeerumkränzte und Philomena bedeutet Freundin des Mutes. "Mein Vater ist Englischlehrer", lacht die junge Frau mit den vielen ungewöhnlichen Vornamen - ganz so, als würde die väterliche Profession und Liebe zur Literatur als Erklärung ausreichen. Doch vielleicht war es schon damals die Intuition kreativer Eltern. Nomen ist schließlich Omen.

Die Tochter entschied sich für Philomena - Freundin des Mutes. Mit diesem Vornamen kann man eigentlich später nur Künstlerin werden - oder eben Künstler inspirieren. Und Mut beweist sie auf jeden Fall mit ihrer Berufswahl, die so ungewöhnlich ist wie ihr Name. "Muse - das wollte ich schon immer werden", sagt sie. Schon mit zwölf Jahren, als ihr dieses Wort das erste Mal begegnete. "Da schwang gleich etwas mit", erinnert sie sich. Immer schon habe sie sich gerne mit Menschen beschäftigt. Sie beschreibt sich als neugierig und interessiert. "Ich möchte andere inspirieren."

 

Ein Studium der Philosophie und Kunst schien da logisch. Das begann Philomena Höltkemeier zunächst in Bielefeld, "doch ich merkte schnell, dass das schon ein Teil von mir war". Sie wollte jedoch etwas Neues, Herausforderndes, entschied sich für den "Zeitgeist", wie sie es nennt. Ihr Bruder lebte bereits in Darmstadt und an der Hochschule und auf dem Mediencampus Dieburg stieß sie auf die Bachelor- und Masterabschlüsse in Digital Media und Media Direction. Studiengänge, die es zu diesem Zeitpunkt nur an wenigen Hochschulen gab. "Ich wusste anfangs nicht so recht, was mich erwartet und habe viel ausprobiert." So interessierte sie sich für Filmproduktionen, Informatik, Management oder auch Medienkultur. "Im Nachhinein war das genau richtig", findet sie. Für die Profession der Muse gibt es schließlich nicht nur den einen Ausbildungsweg.

Philomena ist experimentierfreudig. Als ein Freund sein Filmstudium nach Hollywood verlegte, ging sie einfach mit. In Los Angeles suchte sie sich eine Arbeit bei einer kleinen Filmproduktionsfirma, die einer Deutschen gehörte. Es war ein Praktikum, für das es kein Geld gab, aber dafür jede Menge Erfahrung. Rund sechs Monate arbeite sie dort als "Reader", als Lektorin für Drehbücher. Die 30-Jährige bewertete, ob die eingereichten Manuskripte das Zeug für einen erfolgreichen Film hatten. Nur knapp ein Prozent der eingeschickten Arbeiten lohnen, sagt sie. Unter den Texten, die sie empfohlen hat, war ein Science-Fiction-Drehbuch, das jetzt in die Kinos gekommen ist.

Ihr Gespür für die richtige Dramaturgie setzt Philomena Höltkemeier auch bei ihrer heutigen Arbeit als Muse ein. Wer sie um Hilfe bittet, dem empfiehlt sie vor allem drei Grundregeln: "Eine Geschichte muss vorhanden sein. Ich kann nicht nur schreiben, um des Schreibens willen." Die Handlung muss verständlich sein und sie muss - das ist am wichtigsten - Emotionen wecken. "Ich muss lachen und weinen können." In Frankfurt hat Philomena Höltkemeier den Stammtisch für Filmschaffende gegründet, der regelmäßig im Filmmuseum zusammenkommt. Da kreisen die Gespräche natürlich um Drehbücher, Ideen und ihre Umsetzung.

2014 war sie "Kultur- und Kreativpiloten Deutschland"-Preisträgerin, eine Auszeichnung, die die Bundesregierung seit 2010 jährlich an Kulturschaffende und Kreative vergibt. Gerade erst hat sie auch ihr eigenes Märchenbuch herausgegeben. Vier Jahre hat sie an der Geschichte "Die kleine Minna" gearbeitet - zusammen mit der japanischen Illustratorin Anna Takahashi, die die Bilder beigesteuert hat. Es ist ein kostbares Buch, mit Leineneinband und Goldprägung. Tausend Exemplare hat sie im Eigenverlag über ein Crowdfunding-Projekt finanziert. Die Auflage ist zur Hälfte verkauft. "Ein Exemplar ging sogar bis auf die Philippinen", erzählt sie. Neben Philomena, der Freundin des Mutes, steckt also auch ein bisschen Loredana, die Lorbeerumkränzte, in ihr.

Musen, Quellnymphen, Schutzgöttinnen der Künste: In der Antike waren die Musen Frauen, die an der Quelle der Inspiration saßen. Jede hatte ihre Fähigkeit, sei es Gesang, Poesie, Malerei oder Theaterspiel. "Heute denken viele bei dem Begriff Muse nur an die Muse für einen Künstler, an die Beziehung zwischen zwei Menschen. Das entspricht aber nicht dem ursprünglichen Sinn", betont Philomena. Sie versteht ihrer Tätigkeit als Hilfe "zur Weiterentwicklung des Lebens". Die 30-Jährige arbeitet als Ideengeberein, als Geburtshelferin und Netzwerkerin, die verbindet und Kontakte schafft, die hilft, wenn Menschen in ihrem Alltag oder Beruf feststecken, in ihrer Kreativität blockiert sind, ihrem Leben und Schaffen eine neue Wendung geben wollen.

So wie sie selbst: Nach zehn Jahren in Darmstadt hat sie ihren Wohnort wieder in ihre Heimatstadt Bad Oeynhausen zurückverlegt. Ein Kurort mit Quellen. Da passt die Muse wunderbar. "Hier gehen die Uhren anders", sagt Höltkemeier. Alles ist langsamer, entschleunigter. Auf Spaziergängen im Park, Ausflügen und in Gesprächen mit der Muse Philomena finden ihre Kunden zur Natur und vielleicht auch zu sich selbst. "Ich spüre mich ein. Vieles läuft spontan, intuitiv und ungeplant." Die 30-Jährige sieht sich nicht als Coach oder psychologische Beraterin. "Ich möchte einfach etwas auslösen in den Menschen."

Sie bietet Reisen an - unter anderem nach Hollywood - veranstaltet Storytelling-Seminare, Schreibwerkstätten, Wochenenden mit Muse und Muße oder Einzelsitzungen mit persönlicher Beratung. "Bei mir können sich die Leute rausziehen." Sie ist eine sanfte Frau mit einer offenen, freundlichen Art, sie hört zu, macht Vorschläge. "Mir fällt immer was ein, vielleicht nicht sofort, aber sicher nach ein paar Tagen und vielleicht auch ganz anders als gedacht." Genau deshalb kommen sie wohl, die Manager, die eine Auszeit wollen, Musiker, die nach dem richtigen Songtext suchen oder Autoren, denen die Struktur für ihre Story fehlt. Für ihre "Bemusungs"-Seminare nimmt Philomena Höltkemeier keinen festen Tagessatz, wer nicht so viel oder mehr zahlen kann, tut das. Sie nennt das "soziale Bepreisung". "Ich gebe meine Zeit und ich gebe von Herzen", betont die Muse.