Die Räume dazwischen

Spaces in between, die Räume dazwischen, so hieß die Multivisionsshow über Australien, die der Fotograf Jens Steingässer zusammen mit seiner Frau Jana auf Festivals wie etwa dem Weitsicht-Festival in Frankfurt vor großem Publikum präsentierte. Und vielleicht war es auch ein solcher Raum, der dem mittlerweile beruflich Weitgereisten vor einigen Jahren half, seinen Weg zu finden.

Reisen und Fotografie, beides hatte Steingässer schon von Jugend an begeistert. Er saß selbst im Publikum des Weitsicht-Festivals und sah Diareportagen über den Himalaya von Dieter Glogowski - und zugleich seinen Traum vor sich. So war schnell klar, dass die Fotografie nicht nur ein Hobby bleiben sollte. Doch die Aufnahmeprüfung des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Darmstadt war zunächst eine zu große Hürde. Steingässer bestand sie nicht. Und dies führte zu dem Raum dazwischen.

Er begann, Soziologie zu studieren. Menschen und Gesellschaft interessierten ihn. Doch das Studium entpuppte sich schnell als trocken und theoretisch. Das Gestalten, das Kreative fehlte Steingässer, und das Praktische. Die Menschen in ihrer Umgebung und in ihrem gesellschaftlichen Kontext mit der Kamera durchleuchten. Das war es, was er wollte. Das wurde ihm in dieser Zeit nun richtig klar.

Ein Freund und Fotograf, Albrecht Haag, der an der Hochschule Darmstadt studierte, sagte zu Steingässer: "Wenn du es dir irgendwie leisten kannst, studiere. Nimm dir diesen Freiraum, das studieren zu können und dein eigenes kreatives Schaffen irgendwie zu prägen und zu kultivieren." Haag, der bei Dieter Glogowski ein Praktikum absolvierte, machte dann die beiden miteinander bekannt. Und die Begegnung mit Glogowski - interessanterweise auch ein Alumni der Hochschule Darmstadt -, das war für Steingässer die "Initialzündung von allem".

 

Der junge Familienvater machte sich mit neuem Mut an eine zweite Aufnahmeprüfung. Ein Teil der Mappe war die Serie Paulas Sicht, Fotos aus der Perspektive seiner damals noch kleinen Tochter. Dieses Mal bestand Steingässer die Prüfung. Die Fotos sollten später noch die Geo-Redaktion begeistern, die diese Serie in einem ihrer renommierten grünen Hefte auch veröffentlichten.

Im Studium konnte Steingässer sich dann entfalten. "Man hat quasi Zeit und Raum, um seinen eigenen Stil zu entwickeln", sagt der 40-Jährige. Besonders die Möglichkeit, an Projekten zu arbeiten, hatte ihn begeistert. "Ich wollte nie einfach nur Fotograf oder Knipser sein, sondern mir war immer sehr viel am konzeptionellen Arbeiten gelegen. Und das habe ich dort sehr stark gelernt." Eines der Projekte war zum Beispiel 99 Originale, für das 99 Erstsemester im fotografischen Mittelformat porträtiert wurden. Für dieses studentische Gemeinschaftsprojekt hat das Team auch Fördergelder zur Realisierung der großformatigen Prints eingeworben, die dann auch außerhalb der Hochschule wie etwa auf der photokina großen Anklang fanden.

Die fotografischen Fächer waren für Steingässer natürlich die Lieblingsfächer. Aber auch für Typografie konnte er sich begeistern. Und im Laufe des Studiums wurde seine Wahrnehmung durch die Verbindung mit dem Kommunikationsdesign und dem Erlernen der visuellen Verständigung analytischer. Zudem wuchs das Verständnis dafür, wie visuelle Produkte entstehen, von der Idee bis zur Realisierung, was sich für all seine Projekte als wertvoll erwies.

Seine Diplomarbeit - gefördert durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) - führte in zurück nach Australien, wo er während seiner Studienzeit zuvor schon bereits ein Jahr mit seiner Frau und Tochter Paula an der Westküste verbracht hatte. Für diese Abschlussarbeit dokumentierte er indigene Filmemacher, die später auch in seiner Multivisionsshow Spaces in between wieder auftauchten.

Das Studium prägte Steingässer nachhaltig. "Eine Idee in Gestalt bringen", das habe er dort gelernt. "Und nicht nur für den Beruf, sondern auch für das gesamte Leben", fügt Steingässer hinzu. "Es ist ja auch der Fachbereich 'Gestaltung'. Und so sehe ich das, was ich mache, auch am liebsten."

Der Übergang vom Studium, das Steingässer 2006 beendete, ins Berufsleben als selbständiger Fotograf war fließend. Bereits während des Studiums arbeitete Steingässer an ersten bezahlten Aufträgen. Ein Hochschulprojekt brachte ihm einen seiner wichtigsten Kunden, die Volkswagenstiftung. Eine Reihe von weiteren Kunden bekam Steingässer durch das Netzwerk ehemaliger Kommilitonen und Kommilitoninnen, das sich der mittlerweile vierfache Familienvater während des Studiums geknüpft hatte. Heute fotografiert Steingässer für Kunden wie die KfW Bankengruppe oder Jack Wolfskin.

Der Kontakt zu Glogowski führte zu einer mittlerweile langjährigen Freundschaft und vielen gemeinschaftlichen fotografischen Projekten. Eines davon führte die beiden zu einem Besuch und Shooting beim Dalai Lama.

Die Räume dazwischen, die sind geblieben. Die Räume, die es braucht, um sich zu besinnen und Neues zu kreieren und Menschen und die Gesellschaft zu durchleuchten. Solche Räume nutzt Steingässer dann für freie Projekte, um seinen eigenen Ideen nachzugehen. Eines davon ist die im kommenden Herbst startende Multivisionsshow und das gleichnamige Buch Die Welt von Morgen - Eine Familie auf den Spuren des Klimawandels. Es erscheint im April 2016 bei National Geographic - ein Ritterschlag für einen Fotografen.

 

"Dass ich diesen Weg gehen konnte ist für mich stark mit dem verbunden, was ich im Studium gelernt habe", sagt Steingässer.

Autor

Peter Lege