Von der Ingenieur-Akademie zum Medien- und Wirtschaftscampus
Sie kreieren Computerspiele für virtuelle Realitäten im Studiengang „Animation & Game“, drehen im Bereich „Motion Pictures“ Filme, die es bis zur Berlinale schaffen oder befassen sich im Wirtschaftsstudiengang „Logistik-Management“ mit der Optimierung von Materialströmen. Vielfältig, kreativ und ganz am Puls der Zeit ist das Angebot, das aktuell 3.400 Studierende am zweiten Standort der h_da in Dieburg in den Fachbereichen Media und Wirtschaft vorfinden.
So divers ging es noch nicht zu, als der Campus am Rande der Kreisstadt knapp 20 Kilometer von Darmstadt entfernt Ende der sechziger Jahre seinen Anfang nahm – damals noch unter anderer Führung: 1968 eröffnete die Deutsche Bundespost auf dem einstmals 235.000 Quadratmeter großen Areal ihre nagelneue Ingenieur-Akademie, um Nachrichtentechniker auszubilden. Die Wahl fiel auf Dieburg, weil die Post ihre zentrale Nachwuchsschmiede in der Mitte des Bundesgebiets ansiedeln wollte. Ein weiterer Grund war die Nähe zum Fernmeldetechnischen Zentralamt der Post in Darmstadt.
Technische und bauliche Ausnahmeerscheinung
Der Campus Dieburg war von Anbeginn ein außergewöhnlicher Hort der Lehre. In 14 hochmodernen Laboren konnten sich die damals 1.000 Studierenden auf dem neuesten Stand der Technik ausprobieren. Doch auch baulich war das Areal eine Ausnahmeerscheinung: Nach amerikanischem Vorbild weitläufig gestaltet aus großzügigen Akademiegebäuden mit langen Glasgängen und Lichthöfen und einer imposanten Aula wurde den Studierenden auch in der Freizeit jede Menge Platz geboten. Besonders markant waren die beiden über 60 Meter hohen und als Wohnheime genutzten Hochhaustürme, inklusive angeschlossener Disco und Schwimmbad. Dort pulsierte das Studentenleben wie in einem kleinen Dorf.
1971 wurde die Ingenieur-Akademie zur Fachhochschule der Deutschen Bundespost, 1979 gesellte sich die „Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Post- und Fernmeldewesen“ dazu. Im Zuge der Privatisierungswelle in den neunziger Jahren mit Auflösung der Bundespost und Gründung der Deutschen Telekom AG betrieb diese die FH weiter, stieß sie aber zur Jahrtausendwende aus ökonomischen Gründen ab.
Ein neuer Zweitstandort entsteht
Das Land Hessen übernahm den Campus und übergab ihn im Jahr 2000 an die Fachhochschule Darmstadt, die damals ob des Studierendenzustroms aus allen Nähten platzte. Für die Hochschule war dieser neue Zweitstandort nicht nur wegen der räumlichen Erweiterung lohnend. Großes Potenzial bot auch die Hightech-Ausstattung der Labore, von denen der sich in Dieburg etablierende Mediencampus profitierte. Schon kurz vor der Übernahme hatte die Hochschule die Grundlagen für den Fachbereich Media geschaffen, von da an schritt der Ausbau der anwendungsorientierten, zukunftsgerichteten Stu- diengänge beständig voran – auch im Ende der neunziger Jahre gegründeten Fachbereich Wirtschaft, der mit seinem Businesscampus ebenfalls in Dieburg angesiedelt wurde.
„Eine sagenhafte Weiterentwicklung“, beschreibt der heutige Media-Dekan Prof. Dr. Stefan Schmunk im Rückblick auf die gut zwanzig Jahre seither. Im Zuge der Diversifizierung sind allein am Fachbereich Media 13 Studiengänge entstanden wie Sound and Music Production, Interactive Media Design oder Information Science. Durch die profimäßig ausgestatteten Labore am heutigen Medien- und Wirtschaftscampus könnten die Studierenden sehr praxisnah lernen. Da werden im 3D- Lab virtuelle Projektionen erstellt, im TV- oder Radiostudio Beiträge produziert oder im Logistik-Labor Prozesse von Warenlagerung bis Tourenplanung erfahrbar. Dass sich all dies vor einer denkmalgeschützten Sechziger-Jahre-Kulisse abspielt, gehört zum besonderen Charme des Campus.
„Wir sind sehr stark in der Gegenwart angekommen in einem historischen Setting“, kommentiert dies Prof. Dr. Christopher Almeling, Dekan des Fachbereichs Wirtschaft. Die Fachbereiche hätten sich unheimlich weiterentwickelt. „Anfangs lag der Fokus noch eher auf der Lehre.“ Doch sei man zunehmend auch in der Forschung tätig. Und das habe, so betont Dekan-Kollege Schmunk, „einen sehr starken Impact auf die Lehre“.
Profi-Niveau
In historischem Campus-Ambiente finden Studierende der Fachbereiche Media und Wirtschaft heute hochmoderne Labore mit professioneller Ausstattung. Ob im Virtual Reality-Studio, im Logisitik-Labor oder im Tonstudio. Die Studierenden lernen in einer Umgebung, die sie so später auch im Beruf vorfinden: Das Surround-Studio ist nur ein Beispiel für die hervorragende Ausstattung (Foto: h_da/Jens Steingässer)
Erhalt einer architektonischen Perle
Während indes Lehre und Forschung stetig ausgebaut wurden, erweist sich der bauliche Erhalt des Campus als schweres Erbe. Das heute 52.000 Quadratmeter große Denkmalschutz-Ensemble ist ein Schmuckstück der Moderne, aber auch stark sanierungsbedürftig. Millionen sind über die Jahre bereits in Sanierungen investiert worden, um den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Eine grundständige Sanierung des Campus-Areals kann auch aufgrund von Denkmalschutz-Anforderungen mit heutigen Mitteln nicht gestemmt werden. Für Media-Dekan Schmunk geht es dabei auch um den Erhalt einer architektonischen Perle: „Das Flair und die Atmosphäre des Campus sind faszinierend“, schwärmt er. Es sei viel Raum vorhanden „und Auslauf, den man so an anderen Hochschulen gar nicht hat“. Als Kuriosum dieses Spezifikums fahren die Hausmeister die langen Gänge mit dem Rad ab. Und alle anderen kommen an einem vollen Campustag quasi en passant auf ein gesundheitsförderliches Schrittpensum. Zentrale Anlaufstelle ist und bleibt neben der Mensa das Café Zeitraum, seit vielen Jahren ein von Studierenden geführter Treffpunkt.
Der Mediencampus, wie er sich heute präsentiert. (Foto: h_da/Britta Hüning)
Verabschieden musste man sich jedoch von den legendären Wohntürmen, die den Campus lange flankiert haben. Nach jahrelangem Leerstand wurden sie 2012 abgerissen und teils durch Wohnbebauung ersetzt. Thema waren derlei Veränderungen auch beim feierlichen Jubiläum zum fünfzigjährigen Campus-Bestehen 2018 in der Aula. Welche über sich hinausgehende Bedeutung der Campus hat, machte unter anderem Dieburgs Bürgermeister Frank Haus deutlich: „Die Hochschule hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass Dieburg ein gutes Stück moderner und weltoffener geworden ist.“ Stadt und Region profitierten seit fünf Jahrzehnten vom Hochschulbetrieb.
Und auch der damalige Hessische Wissenschaftsminister und künftige Ministerpräsident Boris Rhein unterstrich: Der Dieburger Campus sei „ein Glücksfall“ und einmalig in Hessen. „Ein Ort der Innovation, geprägt durch hohe technische Kompetenz.“ Er sicherte zu: Das Land bekenne sich zu diesem Standort und wolle ihn mit der Hochschule zukunftsfähig weiterentwickeln. Es werden dort also weiter viele Wege beschritten werden.
aw