„Meine Uhr geht immer fünf Minuten vor“

Davis Baby hat an der h_da seinen Masterabschluss in Elektrotechnik gemacht. Deutschland war für den jungen Inder das Land der Ingenieure, Darmstadt seine erste Auslandsstation. Zunächst glich das Studium einem Kulturschock, später aber war es vor allem ein Karrieresprungbrett. Sein Berufsstart bei der SMS group GmbH begann gleich mit einer Herausforderung: Als Projektleiter in einer Großstadt am Ural. Heute arbeitet der Alumnus am Hauptsitz des internationalen Anlagenbau-Unternehmens in Mönchengladbach. 
 

Genauigkeit, Direktheit, Pünktlichkeit, das sind typische Eigenschaften, die Davis Baby mit seiner deutschen Wahlheimat verbindet. Und die er sich nach über einem Jahrzehnt selbst angeeignet hat. „Meine Uhr geht immer fünf Minuten vor, damit ich zu Terminen und Verabredungen pünktlich bin“, erzählt er lachend. Auch zum Interview erscheint Davis Baby fünf Minuten früher. Dass Deutsche „ein anderes Verständnis von Zeit und Pünktlichkeit haben“, war einer der ersten Unterschiede, die dem jungen Inder bei seiner Ankunft 2011 in Darmstadt auffielen. Baby hatte sich für den Masterstudiengang Elektrotechnik und Informationstechnik an der h_da eingeschrieben. Nach seinem Bachelorabschluss an der Mahatma Gandhi-University in Kerala wollte er sich global aufstellen und im Ausland weiterstudieren. 

Die ersten Monate waren ein Kampf

Der heute 37-Jährige stammt aus einer Akademikerfamilie. Sein Vater arbeitete für die Regierung, seine Mutter als Lehrerin und sein Bruder hat Maschinenbau studiert. Viele Familienmitglieder leben und arbeiten im Ausland. Davis Babys Wahl fiel auf Deutschland: „Das Land der Ingenieure, das eine gute Ausbildung bot, die auch bezahlbar war“. Er entschied sich für die Hochschule Darmstadt und ihren internationalen Masterstudiengang, dessen Vorlesungssprache Englisch war. Am Anfang war die Umstellung dennoch enorm. „Die ersten drei Monate waren ein Kampf“, erinnert er sich. „Ich war darum bemüht, mich richtig zu benehmen und zu verstehen, wie Alltag und Hochschule funktionieren.“ Deutschland war ein Kulturschock. „Alles war anders: Das Wetter, das Leben, das Autofahren. Ich habe das erste Mal Schnee gesehen“.

Auch die deutsche Sprache entpuppte sich als Hürde. Das Studium war international, im Curriculum ein Sprachkurs dennoch Pflicht. Baby büffelte bis Niveau B1; „Überlebensniveau“ nennt er das scherzhaft. Fasziniert war er von Beginn an von der anderen Herangehensweise in Darmstadt und Deutschland an ingenieurtechnische Aufgabenstellungen. „Ich habe neue Sichtweisen und Methoden kennengelernt. Alles war sehr anwendungsorientiert.“ Eine Herausforderung waren die Inhalte, die sich um Programmierungen drehten. „Ich hatte keine Software-Kenntnisse, als ich aus Indien kam“, erzählt er. „Aber auch das habe ich geschafft.“

Dank finanzieller Unterstützung der Eltern konnte Baby sich im ersten Jahr ganz auf das Studium fokussieren. „Die überwiegende Zeit habe ich in der Bibliothek oder auf dem Campus verbraucht.“  Die übrigen Semester waren dann bestimmt von Praxiszeiten in der Industrie. „Der Studiengang hat mir viele Einblicke vermittelt und sehr gut auf das Berufsleben vorbereitet“, findet er im Rückblick. „Es haben sich viele Türen geöffnet“. 

Auf Messe gleich Kontakt zum Arbeitgeber geknüpft

So hatte der junge Student Glück und traf schon im Studium auf seinen späteren Arbeitgeber, die SMS group. Ein internationales Unternehmen im Bereich Anlagenbau, spezialisiert auf Stahlbau, Hütten- und Walzwerktechnik mit rund 14 000 Mitarbeitenden weltweit. „Auf einer Messe knüpfte ich Kontakt zu SMS, wo ich zunächst Praktikant und dann auch Werksstudent wurde“, erzählt er. Auch das Thema seiner Abschlussarbeit entstand in Kooperation mit dem Unternehmen. Seine Masterarbeit schloss Davis Baby übrigens mit Bravour – mit der Note 1,0 – ab. Ein Leitspruch, dem ihm ein Supervisor bei der SMS group in der Ausbildung mit auf den Weg gab, ist bis heute seine Maxime: Qualität beginnt bei den kleinen Dingen. Der Fokus auf Details ist dem h_da-Alumnus bis heute wichtig. 

Gerne erinnert sich der Elektroingenieur an seine Professoren und Betreuer an der h_da. Vor allem an Prof. Thomas Betz, der bis heute Mentor, Berater und Freund für ihn ist. „Er hat mir Vertrauen gegeben.“ Mit ihm beriet er sich auch, als sein neuer Arbeitgeber ihm nach dem Masterabschluss eine Stelle anbot – in Russland, in Tscheljabinsk, einer Millionenstadt am Ural. Weiter weg ging nicht. „Ich war unsicher und hatte mir Bedenkzeit ausgebeten.“ Tscheljabinsk, den Namen der Stadt kannte Baby, weil das deutsche Fernsehen im Februar 2013 über den seit hundert Jahren größten Meteoriteneinschlag dort berichtet hatte. „Ein Jahr später war ich dort. Das hatte ich mir nicht in meinen wildesten Träumen vorgestellt.“

Plötzlich am Ural

Schon wieder ein neues Land, eine neue Kultur und neue Sprache für den gerade mal 27 Jahre jungen Mann aus Indien. Bis zu Minus 37 Grad im Winter – schon das Klima war eine Herausforderung, sagt er. Er kam dort an als „deutscher Ingenieur“ und Projektleiter einer Abteilung im Technischen Service, die ein neues Software-System (Enterprise Resource Planning System) für neun dort angesiedelte Unternehmensbereiche etablieren sollte. „Am Anfang haben mich alle gehasst“, scherzt er. „In Deutschland ist alles definiert, geordnet. Es brauchte Zeit, um mich von der deutschen Direktheit an die russische Mentalität zu gewöhnen.“ Er nahm Sprachkurse, setzte auf intensive Teamarbeit und Kommunikation. „Ich war jung, ich habe nicht so sehr die Hindernisse gesehen, sondern einfach intuitiv und offen gearbeitet.“ Eher nach dem Motto: „Let´s go." 

Aus dem vereinbarten einjährigen Aufenthalt wurden vier Jahre in Russland. Eine Zeit, die er nicht missen will. „Die Menschen waren offen und hilfsbereit. Schlechte Erfahrungen habe ich nicht gemacht“. Gelernt habe er dort vor allem, „wie Business funktioniert“, habe seine Kenntnisse über Management, Geschäftsprozesse und Arbeitsorganisation erweitern können. Ein Wissen, das Selbstverständnis und Arbeitsweise geprägt hat: „Ich bin ein höflicher Inder, ein ausgebildeter Deutscher und ein harter Russe“, lacht er. 

Das war alles vor der Covid-Pandemie und dem Ukraine-Krieg. 2019 kam Baby zurück nach Deutschland. Mittlerweile ist er mit einer Inderin verheiratet und hat eine Familie gegründet. „Für Frau und Töchter ist eine stabile Umgebung besser“, sagt er. Gefunden haben sie die in Mönchengladbach, wo die SMS group einen neuen Campus und ihr Hauptquartier aufbaut. Derzeit ist der h_da-Alumnus Projektmanager im Bereich Service und Technisches Outsourcing und leitet groß angelegte integrierte Projekte. Die SMS group ist heute eines der führenden Unternehmen für die Green Steel Transition, die Transformation der Stahlindustrie hin zu einer nachhaltigeren, CO2-reduzierten Produktion. Davis Baby arbeitet weltweit. Spezialisiert ist er unter anderem auf Beratung und Service für Partnerunternehmen in Langzeitverträgen, so genannte Lifecycle-Partnerships. „Die Kunden konzentrieren sich auf ihr Hauptgeschäft, ihre zentralen Aufgaben und wir machen den Rest“, umreißt er grob die Aufgaben. Dazu gehören etwa die Wartung von Anlagen, das Equipment oder Verkaufsprojekte. „Wir bieten unser Wissen an.“ 
Seiner Alma Mater ist Davis Baby treu geblieben: „Professor Betz war der Erste, den ich besucht haben, nachdem ich wieder in Deutschland war.“
 

Autor

Astrid Ludwig
April 2024