Der Pfadfinder

Schon während des Studiums hat ihn seine Reiselust nach Spanien und Portugal geführt. Später hat Björn Bundschuh unter anderem in Südafrika gearbeitet und sechs Kontinente bereist, oft per Motorrad. Inzwischen lebt der Maschinenbau-Ingenieur und MBA nicht nur in seinem Heimatstädtchen Groß-Umstadt, sondern arbeitet auch dort. Das Gespräch mit dem 46-Jährigen zeigt: Seine Neugier ist ungebrochen.

Wir erreichen Björn Bundschuh am frühen Abend. Passt es gerade? „Jaja, ich sitze mit meinem Sohn auf dem Teppich und spiele Lego.“ Für das Gespräch über seinen Werdegang wechselt er ins Arbeitszimmer seines Hauses in Groß-Umstadt. Bundschuh ist seit vier Jahren „Manager Projects & Lean Manufacturing European Operations“ beim traditionsreichen örtlichen Baustoffhersteller Resopal, inzwischen Teil des US-amerikanischen Laminatherstellers Wilsonart. „Ich kümmere mich um Produktionsoptimierung in den europäischen Werken“, erklärt er. Den kurzen Arbeitsweg legt er per Rad zurück. Sein bisheriger Berufsweg aber bietet so viele spannende Wendungen, dass er vom Startpunkt aus erzählt werden muss.

Björn Bundschuh studiert ab 1996 Maschinenbau an der damaligen Fachhochschule Darmstadt. „Ausschlaggebend“, sagt er, „waren die Anwendungsnähe und die persönliche Betreuung“. Er vertieft in Konstruktionstechnik, ist Tutor in den Fachbereichen Architektur, Informatik sowie im Fördertechnik- und Logistiklabor. Nebenher jobbt er als Reiseleiter in Spanien und macht ein fünfmonatiges Praktikum in Madrid. Das rückt ihn in den Fokus des inzwischen pensionierten Professors Dr. Rudolf Vetter. „Ein Freund von mir in Portugal braucht Hilfe, gehen Sie mal da runter“, so die Ansage Vetters, der für seine bestimmte Art bekannt war. „Da wollte ich lieber nicht damit kommen, dass Portugiesisch und Spanisch zwei Paar Schuhe sind“, erinnert sich Bundschuh lachend. Gleichermaßen überrumpelt wie geschmeichelt tat er wie ihm geheißen. „Also habe ich als Diplomarbeit ein Produktionslogistikkonzept für den Maschinenbauer MBO Binder in Portugal erarbeitet.“

Im Studium durchgestartet

„In der Schule war ich nur mittelmäßig. Aber im Studium bin ich abgegangen wie eine Rakete“, erzählt Bundschuh. „Als Technik-Nerd bin ich meinem Interesse gefolgt – und fand es einfach genial!“ Sein Leben habe sich damals nur ums Studium gedreht. „Mein Vater war Landwirt und Agraringenieur. Von daher fand ich es normal, dass der ganze Tag aus Arbeit besteht.“ Als Kind wollte er selbst Landwirt werden, den Hof übernehmen. Später merkte er, dass ihn Traktoren und Technik weit mehr faszinierten als Getreide und Tiere. „An der h_da zu studieren, war genau richtig“, sagt er. „Drei Viertel des Gelernten konnte ich danach unmittelbar anwenden.“ 2000 schließt er als einer der beiden Jahrgangsbesten ab.

Beim Anlagenbauer Mannesmann Dematic in Heusenstamm, der kurz darauf von Siemens übernommen wird, startet Bundschuh im März 2000 ins Berufsleben. Er plant und konstruiert Logistiksysteme, ist Gruppenleiter. Aber bald reizt ihn ein wirtschaftswissenschaftliches Zweitstudium. „Ein Studium in Deutschland hätte mein Arbeitgeber finanziert. Aber ich wollte unbedingt ins Ausland. Also habe ich gekündigt und es aus eigener Tasche bezahlt.“ Ab 2003 studiert Bundschuh General Management an der IESE Business School in Barcelona. „Das bilinguale MBA-Studium war das Puzzleteil, um Maschinenbau und Management zu verbinden“, sagt er. „Auf dem Campus kamen Menschen aus 43 Nationen zusammen. Das hat mein Verständnis für andere Kulturen vertieft und mich noch offener gemacht.“ Während eines Praktikums in Honduras erstellt er einen Businessplan für ein Entwicklungshilfeprojekt.

Spanien, Honduras, Hochzeit, Südafrika

Bundschuhs Entschlossenheit hatte seinen alten Arbeitgeber beeindruckt. Nach dem Ende des Zweitstudiums im Sommer 2005 stellt Siemens ihn wieder ein. Der nächste Auslandseinsatz folgt sogleich: Bundschuh soll nach Südafrika gehen. Vorher macht er bei einem Motorradtrip durch Spanien seiner Ines einen Heiratsantrag. Beide hatten sich während des Studiums in Darmstadt kennengelernt und sofort die Reise- und Abenteuerlust als ein verbindendes Element entdeckt. Ines sagt „Ja“, sechs Wochen später ist Hochzeit. „Wir haben samstags geheiratet, montags wurde der Container verschifft und freitags waren wir in Südafrika“, erzählt Björn Bundschuh. Ein Leben im Zeitraffer.

Seine Zeit als Key Account Manager Automotive and Assembly Systems bei Siemens Ltd. in Port Elizabeth fällt in eine Umstrukturierungsphase, die dem Verkauf der Geschäftssparte vorausgeht, erzählt Bundschuh. „Da war für mich kein Blumentopf zu gewinnen.“ Wohl aber einmalige Reiseeindrücke: Die Bundschuhs erkunden Südafrika per Motorrad. Nach der Rückkehr nach Deutschland wechselt Bundschuh 2006 als Projektmanager zum Glas- und Keramikhersteller Schott nach Mainz. Ein in Südafrika geborener Traum treibt ihn da schon um: einen Kontinent auf dem Motorrad durchqueren. 2008 sehen die Bundschuhs die Zeit dafür reif. Das Ziel: Lateinamerika. „Unsere Arbeitgeber wollten oder konnten uns keine Sabbaticals ermöglichen. Also haben wir unsere Stellen aufgegeben.“ Geht nicht? Gibt’s nicht!

… und einmal längs durch Lateinamerika

Ihr Abenteuer planen die Bundschuhs, die damals schon den Reiseblog thebundschuhs.de gestartet hatten, akribisch. Sie finden Sponsoren für Teile des Equipments, kündigen ihre Wohnung, lagern die Möbel ein und fliegen mit viel Ausrüstung in die USA. „Wir hatten vorab bei einem Händler bei Los Angeles zwei Geländemotorräder gekauft. Die haben wir vor Ort noch umgebaut, dann ging es los.“ Anfang Dezember 2008 brechen sie gen Mexiko auf. Ihr Abenteuer endet sieben Monate später, nach 26.000 Kilometern durch 16 Länder. Sie verkaufen ihre Lebensabschnitts-Gefährte weiter und fliegen zurück nach Deutschland. Die großartigen Natureindrücke, menschlichen Begegnungen und haarsträubenden Erlebnisse verarbeiten sie zu einem Reiseroman mit dem vielsagenden Titel „No Papers – No Problems“. Der Klappentext ließe sich auch auf Björn Bundschuhs Leben als Ganzes beziehen: „Mit Kreativität und Mut geht (…) so einiges, was man nicht für machbar gehalten hätte.“

Zurück in Deutschland öffnet sich für Bundschuh abermals eine bereits verschlossen geglaubte Tür: Auch Schott nimmt ihn wieder auf, als Senior Project Manager Lean Transformation. 2012 wird er Lean Expert und stellvertretender Abteilungsleiter Lean Transformation. „Die Kombination Maschinenbau und Management hat mir viele Optionen eröffnet“, weiß Bundschuh. Er fokussiert sich auf Lean Management, das Managementsystem Six Sigma und die strukturierte Problemlösung. „Schlanke Prozesse braucht es nicht nur in der Fertigung, sondern in vielen Branchen.“ Das ermöglicht ihm, sein Wissen in verschiedenen Kontexten anzuwenden.

Zu viert im Camper und Hausverkauf einmal anders

2010 und 2012 werden die Bundschuhs Eltern zweier Söhne. Gereist wird jetzt häufiger mit dem Wohnmobil. Auch zu viert treibt es sie noch weit über Europas Grenzen hinaus. Ihr Reiseblog dokumentiert inzwischen zahlreiche Erlebnisse und Projekte der ganzen Familie. Zum Beispiel den Verkauf des auf ihrem Baugrund stehenden Fertighauses auf Ebay (an Selbstabholer). Oder den Bau ihres Hauses in Holzbauweise an selber Stelle – mit viel Eigenleistung und komplett im Zeit- und Kostenplan, versteht sich. Ausgetretene Pfade reizen Björn Bundschuh nicht. Er sucht sich seinen Weg lieber selbst. „Wege entstehen, indem man sie geht.“ Dieses Kafka-Zitat, sagt er, sei für ihn ein Leitspruch.

„Manche Sachen wollte ich einfach ausprobieren“, sagt Bundschuh: „Bungee-Springen, mal im Ausland leben, mal Führungskraft sein“. Habe er das gemacht, könne auch wieder etwas Neues kommen. Vor diesem Hintergrund stellt er sich Ende 2013 einer weiteren beruflichen Herausforderung. Er wird Geschäftsführer bei Mettler Toledo in Zwingenberg (Bergstraße), einem Hersteller optischer Inspektionssysteme. Ergebnisse und Feedback seien zwar gut gewesen, aber: „Durch die Personalverantwortung hatte ich viel mit Administration und persönlichen Befindlichkeiten zu tun. Das war nicht das Richtige für mich.“

Kleinere Brötchen, größere Glücksgefühle

Was ist mir wichtig im Leben? Macht mich dieser Job, jenes Gehalt glücklich? Solche Fragen stellt sich Bundschuh jetzt vermehrt. Und findet bald Antworten. Nach gut drei Jahren als Geschäftsführer wechselt er Anfang 2017 auf seine heutige Position. „Mir ist es lieber, ich backe kleinere Brötchen – und habe dabei gefühlt größeren Impact auf die Organisation“, erklärt er diesen Schritt. Er habe klangvollere Positionen gehabt, sei luxuriösere Autos gefahren – heute gebe es ihm mehr, mit dem Rad zur Arbeit fahren zu können. „Aber ich bin total glücklich, das gehabt und ausprobiert zu haben!“ Glücklich ist er auch in seinem jetzigen Job, der wieder näher an der Fertigung ist.

Was war nun aber das Verrückteste, das Größte in seinem bisherigen Leben? Bundschuh denkt kurz nach. Dann nennt er nicht Bungee-Sprünge, Motorrad-Rallyes oder Zelten in Krisengebieten, sondern: „Die Geburten unserer Söhne. Und dann: dass ich für meine Träume zwei Mal meinen Job gekündigt habe.“ Damals habe er mehrfach den Satz gehört: „Wenn Du das jetzt machst, ist das der Karrierekiller.“ Natürlich habe er in diesen Situationen gezweifelt, aber sein innerer Kompass habe ihm den richtigen Weg gewiesen. „Ich hatte keinen Masterplan für Leben und Karriere, da haben auch Zufall und Glück reingespielt. Aber bisher ist es immer gut gelaufen.“

Leben und Arbeit setzt Björn Bundschuh heute nicht mehr gleich: „Das hat sich schleichend verschoben, natürlich vor allem durch die eigene Familie.“ Hinzu kommen allerlei Hobbys. Gerade habe er sich selbst seinen Schreibtisch geschreinert. Und dann ist da noch das Projekt „Lego“ – nachzulesen im Bundschuh-Blog, zwischen den Einträgen Lateinamerika und Rallye. „Ich hab‘ da ein Lego-Robotics-Buch geschrieben. Die, die es zu kaufen gab, haben mich nicht überzeugt.“ Er habe ja schon damals für Prof. Dr. Vetter zwei Roboter mit aufgebaut. „Das zweite Buch bereite ich gerade vor.“ Aber jetzt geht er erst mal zurück zu seinem Junior auf den Teppich. Zum Spielen. Schon klar.

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Autor

Daniel Timme
Februar 2021