Erstmals hat die Hochschule Darmstadt (h_da) den Polytechnic Summit ausgerichtet und erstmals in hybrider Form. Nationale und internationale Wissenschaftsgäste diskutieren auf der Konferenz der GPEA bis Donnerstag über neue Lehr- und Lernformate und darüber, wie Angewandte Forschung und die Universität der Zukunft aussehen sollen.
Von Astrid Ludwig, 30.6.2022
„Die Welt braucht Angewandte Wissenschaften“, sagt Themis Christophidou, Generaldirektorin für Bildung, Jugend, Sport und Kultur der Europäischen Kommission. Ob nun im Bemühen um eine nachhaltige Wirtschaft, den Klimaschutz oder bei der Suche nach grünen und digitalen Lösungen – die Erkenntnisse Angewandter Wissenschaften seien dabei essentiell. In ihrem Grußwort zu Beginn des Polytechnic Summit an der Hochschule Darmstadt geht die EU-Beamtin dabei ausdrücklich auch auf die EUT+ Initiative ein, in der sich acht europäische Technische Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in einer Allianz zusammengefunden haben. Mit Kooperationen über Grenzen hinweg ließen sich aktuelle und kommende Herausforderungen der Gesellschaft besser meistern, so Christophidou. Die von der Europäischen Kommission geförderte Allianz wolle die europäische Idee auf Ebene der Universitäten leben, stärker zusammenarbeiten und eine gemeinsame Lehre und Forschung etablieren. Die Generaldirektorin dankt der h_da für ihre Arbeit und die Ausrichtung des Summits.
Im neuen Studierendenhaus eröffnet h_da-Präsident Prof. Dr. Arnd Steinmetz am Dienstagmittag die dreitägige Tagung mit nationalen und internationalen Redner*innen, Gästen und Forschenden. Der Polytechnic Summit ist die zentrale Veranstaltung des transatlantischen Verbundes „Global Partners European Alliance“ (GPEA), in dem sechs Technische Hochschulen in Europa und den USA seit zehn Jahren bereits intensiv Zusammenarbeit und regelmäßigen Austausch pflegen. Mitglieder sind neben der Hochschule Darmstadt, die englische University Coventry, die irische Technologische Universität Dublin, die Hochschule für Technik und Wirtschaft im schweizerischen Luzern, die Purdue Universität in Indiana und die Universität von Wisconsin – Stout in den USA. Vertreter:innen sind bei der Tagung virtuell und in Präsenz anwesend.
Auch Prof. Steinmetz hebt in seiner Rede die EUT+Initiative hervor, die für die europäische Philosophie und eine europäische Hochschulkultur stehe, die verschiedene Sprachen, Kulturen und Sichtweisen vereine. Die Hochschule Darmstadt solle dabei zum deutschen Campus in der Gemeinschaft einer europäischen Universität werden. Künftig könnten die EUT+ Allianz und die „Global Partners European Alliance“ gemeinsame Wege gehen. „Die Zusammenarbeit und der Summit haben an weiteren Hochschulen auf beiden Seiten des Ozeans Aufmerksamkeit erregt“, so der h_da-Präsident. „Wir planen eine Erweiterung der GPEA, deren Europäischer Teil von den Partnern der EUT+ gebildet werden könnte. Damit stellt der Summit auch in der Zukunft der h_da und von EUT+ einen wichtigen Baustein der Kooperationen und Außenwirkung dar.“
Während des dreitägigen Summit geht es um Themen wie Nachhaltigkeit, Praxisbasiertes Lernen, Angewandte Forschung und auch darum, wie die Universität der Zukunft aussehen muss. Wie sich Hochschulen künftig ausrichten und zusammenarbeiten sollten, darüber diskutieren die internationalen Konferenzteilnehmenden beispielsweise beim „Roundtable Dialogue“ mit Sophia Eriksson Waterschoot, Direktorin für Jugend, Bildung und Erasmus+ bei der Europäischen Kommission, die live aus Brüssel zugeschaltet ist. Auch Eriksson Waterschoot hält die Initiative EUT+ für sehr ambitioniert: „Sie sind ein Pionier.“ Ziel sei, die Zusammenarbeit zu stärken und die Qualität zu steigern. Profitieren würden davon Studierende europaweit. „Das ist kein Projekt, sondern eine langfristige Vision, die die Universität der Zukunft im Blick hat.“ EUT+ sei Teil eines bereits breit geknüpften europäischen Netzes aus Kooperationen und Allianzen mit rund 300 Institutionen. „Diversität ist unsere Stärke“, so die EU-Direktorin.
Aus diesem Grund hob die EU vor mehr als 45 Jahren schon das Erasmus+ Programm aus der Taufe. „Ein Flaggschiff-Programm und ein Erfolgsmodell“, so Eriksson Waterschoot. Begann das Austausch-Programm anfangs mit rund 3000 Studierenden, so nehmen heute zwölf Millionen Studierende teil. „Ein großer Faktor für das europäische Bildungssystem, bei dem es nicht nur um Mobilität, sondern auch um die Vielfalt tausender Kooperationsprojekte geht, die entstanden sind – in Europa und auf internationaler Ebene.“ 2021 wurde das Erasmus-Budget von der EU für den Zeitraum bis 2027 auf 26,2 Milliarden Euro verdoppelt. Zehn Millionen Menschen sollen davon profitieren, andere Länder und Kulturen kennenzulernen. Inklusion soll auch hier mehr in den Blick genommen werden, der Zugang breit angelegt und keineswegs elitär sein, unterstreicht die Direktorin.
Prof. Nicole Saenger, h_da-Vizepräsidentin für Forschung und nachhaltige Entwicklung, ist erfreut, dass Sophia Eriksson Waterschoot die EUT+ Initiative positiv bewertet und eine weitere finanzielle Unterstützung der EU in Aussicht stellt. In einer ersten Bilanz bewertet die Vizepräsidentin den Verlauf des Polytechnic Summit als sehr gut. Rund 80 nationale und internationale Wissenschaftler*innen und Teilnehmende sind gekommen. Erstmals finde die jährliche Tagung an der Hochschule in Darmstadt statt und erstmals in hybrider Form. „Das ist eine Premiere“, so Saenger. Die technische Abwicklung haben dabei Studierende des Fachbereiches Media übernommen. Wegen des Corona-Virus hatte man sich zuletzt nur online getroffen. „Jetzt ist die Freude groß, sich endlich wieder persönlich austauschen zu können, und das ist nach der Pandemie auch wichtig“, betont die Professorin.
Themen und Problemstellung sind vielfältig. Dabei stehen alle Hochschulen vor ähnlichen Herausforderungen, wie Michael Lacourse, Vizepräsident an der Utah Tech University / USA berichtet. Die Zahl der Studierenden, die sich für die MINT-Fächer interessieren, also die Stammfächer der Technischen Hochschulen, sinkt. Wie lassen sich junge Menschen jedoch schon möglichst früh für Mathematik, Chemie oder Physik begeistern? Wie das gehen könnte, zeigt ein Beispiel aus Irland, das beim Summit vorgestellt wird – ein Projekt zu Outdoor Learning im Grundschulalter. „Es ist spannend, die unterschiedlichen Ansätze zu sehen“, sagt dazu Vizepräsidentin Saenger.
Voneinander lernen, auch darum geht es beim Polytechnic Summit. So tauschen sich beim „GPEA Leaders Roundtable“ Vertreter*innen der amerikanischen Universitäten mit ihren europäischen Kollegen*innen aus. Wie hat man an den jeweiligen Hochschulen die Pandemie bewältigt, mit welchen neuen Lernformaten, die auch für den künftigen „normalen“ Lehrbetrieb taugen? Welche Kooperationsmodelle mit der Industrie und Praxiserfahrungen europäischer Hochschulen sind auch für die US-Partner interessant? „Wie müssen wir unsere Studierenden auf das Arbeitsleben und die Industrie vorbereiten und welche Softskills brauchen sie“, fragt Elisabeth Barajas, Direktorin für Globalisierung des Purdue Polytechnic Institute und plädiert dafür, Studierende dabei mehr einzubinden. h_da-Präsident Steinmetz berichtet von Praxisphasen, die Darmstädter Studierende in Betrieben verbringen, und vom Nährwert anwendungsorientierter Studienprojekte gemeinsam mit der Industrie.
Ähnlich verfährt auch die University of Wisconsin-Stout, die Kooperationen mit der Industrie und Experten aus der Wirtschaft an die Fachbereiche und Fakultäten holt, so Glendali Rodriguez, Vizekanzlerin für Academic Affairs. Die Luzerner „School of Enineering and Architecture – University of Applied Sciences and Arts“ hat Wirtschaft und Industrie ebenfalls befragt und in die inhaltliche Ausrichtung von Studiengängen einbezogen, sagt Stephen Wittkopf, Head of International Relations. Für ihn ist Interdisziplinarität ein wichtiger Schlüssel, um unterschiedliche Perspektiven, Ansätze und Sprachen zu verstehen. Auslandserfahrung hält daher auch Mike Murphy, Direktor der Technischen Universität Dublin, für eine internationale Erfahrung, die alle Studierenden machen sollten.
Die Tagung kommt gut an. „Der Summit ist eine Möglichkeit voneinander zu lernen und zu sehen, was geht und was geht nicht“, freut sich Elisabeth Barajas. Mike Murphy lobt Thema und Programm in Darmstadt. Für ihn hat der Summit zwei Dimensionen: „Das Programm und das Networking, das die Tagung ermöglicht.“ Uwe W. Schulz von der Luzerner Hochschule hätte sich noch mehr Teilnehmende gewünscht. „Die Beiträge sind wichtig und bieten die Möglichkeit der Reflexion.“ Begeistert ist er von den Räumlichkeiten im neuen Studierendenhaus.
h_da-Präsident Steinmetz wertet den Summit als Erfolg. Es sei schön, dass die amerikanischen Kollegen*innen ihre erste Auslandsreise nach der Pandemie genutzt hätten, um nach Darmstadt zu kommen. Doch auch das hybride Konzept mit 20 Prozent Online-Besuchern zahle sich aus und werde sicherlich fortgeführt. Den Austausch technischer und polytechnischer Hochschulen untereinander hält er für sehr wichtig. Sie haben einen großen Anteil an der technischen Ausbildung und Ingenieursausbildung weltweit. „Wir wollen Wissen teilen“, betont Steinmetz. Für Darmstadt sei die EUT+ Allianz ein bedeutendes Thema. „Es ist eine Chance, sie beim Summit den anderen Hochschulen vorstellen zu können“, so der Präsident. Auch von Seiten der „Global Partners European Alliance“ bestehe Interesse an einer Erweiterung des Verbunds und mit Darmstadt und Dublin gibt es bereits Partner, die Mitglied in beiden Allianzen sind. Schon in Arbeit ist eine neue Charta der GPEA ab 2023 für die nächsten fünf Jahre. Geändert werden soll dann auch der Name: In „Global Polytec Education Alliance“.