Am späten Abend des 19. August 2014 knallte es in Hessen. Wie ein dutzend Silvesterraketen hörte es sich an, als der Kampfmittelräumdienst gegen 21.50 Uhr auf der A3 eine Fliegerbombe sprengte. Bauarbeiter hatten das Überbleibsel aus dem zweiten Weltkrieg zwischen dem Offenbacher Kreuz und Obertshausen entdeckt. Die kontrollierte Explosion riss einen gigantischen Krater in die Fahrbahn, zwei Tage lang konnte kein Auto die Stelle passieren.
Für unzählige Pendler war das eine Katastrophe – für Marco Schleicher ein Glücksfall. „Das war eins der schönsten Ereignisse“, schwärmt der 30-Jährige. Denn das Aktuelle ist sein Geschäft. Der Darmstädter arbeitet als Nachrichtensprecher bei ‚YOU FM‘ und ist Reporter bei ‚hr-iNFO‘. Seine Beiträge laufen auf allen Wellen des Hessischen Rundfunks. Wenn im Rhein-Main-Gebiet etwas Entscheidendes passiert, ist Marco Schleicher vor Ort.
So auch am Morgen nach der Sprengung auf der A3. Um 5.30 Uhr machte sich Schleicher mit einem Ein-Mann-Übertragungswagen auf, um den Krater zu begutachten, den die Fliegerbombe in den Asphalt gerissen hatte. Über die Schleichwege der Polizei, die im Normalfall nur bei Unfällen für die Einsatzfahrzeuge geöffnet werden, durfte er bis an das riesige Loch heranfahren. Schleicher sprach mit den Involvierten, machte sich ein Bild von der Verkehrssituation, und schon musste er auf Sendung gehen. Die Geschichte war gefragt an jenem Morgen. „Das hatte natürlich Servicewert hoch zehn“, sagt Schleicher. Von ‚YOU FM‘ bis ‚hr4‘ kam der Reporter überall zu Wort. Vom kurzen Aufsager über das Live-Gespräch bis hin zum längeren Beitrag mit mehreren O-Tönen war alles dabei. Am Ende hat Schleicher noch einmal nachgezählt: 14 Live-Gespräche waren es an diesem ereignisreichen Vormittag.
Heute hatte Schleicher weniger zu tun. Es ist 14 Uhr. Im karierten Hemd sitzt der 30-Jährige in der Kantine des Hessischen Rundfunks und genehmigt sich einen Feierabend-Kaffee. Diese Woche ist Frühschicht angesagt, nichts Weltbewegendes, einen Beitrag über die erhöhte Unfallgefahr aufgrund des schlechten Wetters hat Schleicher heute eingesprochen, dazu recherchiert, weshalb die Blutkonserven der Krankenhäuser derzeit knapp sind. Diese Tage in der Redaktion müssen natürlich auch sein, aber am liebsten, sagt Schleicher, „bin ich mitten im Geschehen“.
Sein Handwerk lernte er an der Hochschule Darmstadt (h_da). Am Dieburger Mediencampus machte Schleicher sowohl seinen Bachelor in Media Production, als auch den Master in Media Direction. Die Jahre an der h_da hätten ihn gelehrt, multimedial zu denken, sagt Schleicher, der oft bei seinen Terminen auch Fotos knipsen und Videos drehen muss. „Das Multimediale ist hier gewollt“, erklärt er. Den Job beim HR hätte er ohne das h_da-Studium vielleicht nicht bekommen. Geholfen habe es auf Fälle, sagt Schleicher, „davon bin ich überzeugt“.
Zum Radio wollte der h_da-Absolvent schon immer. „Ich wusste, dass es schwer wird“, erinnert er sich. In der Kirchenredaktion von ‚FFH‘ sammelte er während des Studiums erste Hörfunk-Erfahrungen. „In dieser Zeit habe ich viel gelernt“, meint Schleicher, dessen Beiträge damals selten länger waren als eine Minute. Haufenweise Informationen in solch einer kurzen Zeit unterzubringen, sei eine große Herausforderung gewesen, sagt er heute, „aber es war die beste Übung“. Nach dem Studium volontierte der Darmstädter beim HR. Von 700 Bewerbern blieben am Ende sieben übrige – Schleicher war dabei.
Heute ist er beim Hessischen Rundfunk ein fester Bestandteil. Als freier Mitarbeiter übernimmt er zehn Nachrichtenschichten pro Monat, dazu viele Reporterschichten. Mal muss er morgens um 4.30 Uhr in die Redaktion, mal sitzt er zur Spätschicht bis 20 Uhr dort. Mal berichtet Schleicher über die Terroranschläge von Paris, mal über die Sperrung der Schiersteiner Brücke. Wenn er ins Auto steigt und Richtung Frankfurt fährt, weiß der Moderator und Reporter selten, was ihn im Laufe der Schicht erwartet. „Jeder Tag ist ein Überraschungsei“, sagt Schleicher. „Und genau das macht den Job so spannend.“
Manuel Schubert