Britta Hüning und Rahel Welsen (links) haben sich Anfang der Nullerjahre im Kommunikations-Design-Studium auf der Mathildenhöhe kennengelernt. Heute arbeiten beide als freiberufliche Fotografinnen, haben aber ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen. Im Interview sprechen sie über Auftragsjobs und Herzensprojekte, Entwicklungen und Entscheidungen, Ausstellungen und Durststrecken.
Hallo Ihr beiden, schön, dass es geklappt hat! Es war nicht ganz leicht, einen Termin zu finden, weil Du gerade an mehreren Ausstellungen beteiligt bist, Rahel. Erzähl‘ mal!
Rahel Welsen (RW): Ja, es sind momentan vier Ausstellungen in drei Monaten. Bei „Glatze zeigen“ im Haus am Dom in Frankfurt zeige ich noch bis Ende Mai Porträtfotos von Frauen mit Glatze. Ich habe sie befragt, wie es sich lebt, wenn frau keine Haare mehr hat. Das ist auch eine Reflexion über weibliche Schönheitsideale. Unmittelbar vorher lief unsere jährliche Unwort-Ausstellung in Darmstadt. Bei zwei weiteren Ausstellungen geht es um Architekturfotografie.
Bei der Unwort-Ausstellung visualisierst und interpretierst Du als eine von neun Darmstädter Fotografinnen und Fotografen das „Unwort“ des Jahres …
RW: Genau. Zwischen Bekanntgabe des Unworts und der Vernissage ist jeweils wenig Zeit, um unsere Ideen zu diskutieren und umzusetzen. Dann müssen wir die Ausstellung organisieren und bewerben – das ist schon immens anstrengend. Aber ich bin froh, Teil der Gruppe zu sein.
Wie kam es, dass Du selbst „Glatze zeigst“?
RW: Mir sind wegen einer Autoimmunerkrankung ab 2011 die Haare ausgefallen. Das war ein krasser Einschnitt. Aber ich hatte ein Dreivierteljahr Zeit, mich darauf vorzubereiten. Ich habe schnell entschieden, mich nicht unter einer Perücke zu verstecken. Dann hätte ich zum Beispiel keinen Sport mehr machen können – was mir total wichtig ist. Das war weniger eine mutige Entscheidung, sondern eher die Unlust, mein Leben komplett umzukrempeln. Dass ich wegen der Glatze dann oft angestarrt wurde, hat mich selbstbewusster gemacht.
Britta Hüning (BH): Das kann ich nur bestätigen. Du bist grundsätzlich ein ruhiger Mensch – aber früher warst Du introvertierter und braver. Du hattest noch nicht Dein heutiges Selbstverständnis und Selbstbewusstsein. Ich glaube, diese Sache hat Dich auf die Bühne des Lebens geschubst. Du wurdest gesehen, ob Du wolltest oder nicht. Daran bist Du unwahrscheinlich gewachsen.
RW: Danke, Britta. Heute bin ich für die Glatze tatsächlich fast dankbar. Selbst wenn die Haare wiederkämen, würde ich sie abrasieren, weil ich meine Glatze mittlerweile so gerne mag. Aber ich bin auch froh, wenn es mal nicht darum geht.
Na dann: Lasst uns mal grob 20 Jahre zurückschauen. Ihr habt Euch im Kommunikations-Design-Studium kennengelernt, oder?
RW: Eigentlich kamen wir erst nach Brittas Abschluss intensiv in Kontakt. Ich habe damals ein Praktikum bei dem Fotografen gemacht, mit dem Britta sich das Studio geteilt hat. Sie war schon vor mir im Job, ich habe zu ihr aufgeschaut. Und sie hat mir immer geholfen, das unfassbar schwere Equipment die Treppe hochzuschleppen. (beide lachen)
Was sind Eure stärksten Erinnerungen ans Studium?
BH: Das tolle Gemeinschaftsgefühl und die Mathildenhöhe! Ich habe es als Ehre empfunden, an diesem historischen Ort mit gestalterischer Tradition studieren zu dürfen. Man kannte damals studiengangs- und semesterübergreifend etwa die Hälfte aller Studis mit Namen. Es gab eine große Hilfsbereitschaft untereinander. Im Studium hatte ich bunte Dreadlocks, war viel auf Partys, bin gereist. Ich habe ein Auslandssemester am Reading College in England gemacht und ein Praxissemester in Südafrika. Andererseits kamen wir, was das Fachliche angeht, genau in den Umbruch von der analogen zur digitalen Fotografie. Die alten Lehrinhalte waren plötzlich überholt. Das war schwierig, da musste sich vieles neu finden. Als ich 1995 meine Ausbildung abgeschlossen hatte, gab es noch gar keine Digitalkameras …
RW: Stimmt, die teure Mittelformat-Kamera, die ich extra gekauft hatte, habe ich nie gebraucht. Digitale Fotografie bedeutete ein komplett anderes Arbeiten. Ich hatte zuerst in Mainz Freie Bildende Kunst studiert. Aber das war nichts für mich. Man wurde dort direkt als Künstler angesehen – aber mir fehlte noch das Handwerkszeug. Deshalb bin ich nach dem Vordiplom nach Darmstadt gewechselt. Es war nicht einfach, sich die Grundlagen von Design und Fotografie anzueignen. Aber heute bin ich froh, als Diplom-Designerin breiter aufgestellt zu sein. Erst neulich habe ich mir wieder neue Visitenkarten gestaltet.
Britta, Du sprachst von einer Ausbildung …?
BH: Ja, ich habe nach dem Abi die zweijährige Ausbildung zur Fotografin in Köln gemacht. Nach einem Praktikum bin ich zum ersten Mal nach Südafrika gegangen. Dann war ich auch Fotoassistentin, erst danach habe ich studiert. Das Studium hat für mich dann die Verbindung zwischen Handwerk und Design geschaffen, die ich gesucht habe. Das kommt mir bei meiner Vertretungsprofessur für Fotografie und Design am Fachbereich Media gerade wieder zugute. Da gebe ich in diesem Sommersemester einen Grundlagenkurs Design.
Abitur in Leverkusen, Ausbildung zur Fotografin in Köln, Praktika bei der Bayer AG, Fotoassistentin unter anderem in Fotostudio in Brühl bei Köln. Ab 1997 Studium des Kommunikations-Designs an der Hochschule Darmstadt, Auslandssemester am Reading College (England) und Praxissemester in Lulekani (Südafrika). Seit dem Diplom 2003 als freiberufliche Fotografin unterwegs, unter anderem für die Medien der Hochschule Darmstadt. 2021/22 Vertretungsprofessur für Fotografie am Fachbereich Media der h_da. Lebt mit Partner und Kind nahe Darmstadt.
Rahel, Du hast nach dem Studium mehrere Jahre als Assistentin gearbeitet. Ein guter Einstieg?
RW: Das war eine tolle Zeit! Ich war mit einem Fotografen unterwegs, der sehr gut im Geschäft war. Wir hatten oft aufwendige Shootings – Hubschrauberflüge und so. Ich habe viel von ihm gelernt und bin sehr dankbar für diese Zeit. Als diese Phase zu Ende ging, hatte ich zum Glück schon eigene Kunden akquiriert. So war ich ganz gut vorbereitet, als ich dann selbst in der ersten Reihe stand.
Freiberuflerin – das klingt erst mal toll. Aber könnt Ihr im Tagesgeschäft tatsächlich Eure kreativen Ideen umsetzen und Dinge machen, die Euch interessieren?
RW: Mir machen auch meine Auftragsjobs in der Porträt- und Architekturfotografie fast immer Spaß. Ich muss mir jedenfalls nichts nur wegen des Geldverdienens zumuten.
BH: Für mich hat sich 2016 viel verändert, als mein Sohn auf die Welt kam. Seither fallen die meisten Dinge, die man machen kann, aber nicht muss, hinten runter. Trotzdem kommen in meiner Arbeit neben den anwendungsbezogenen Auftragsjobs auch noch Projekte vor, die mir am Herzen liegen. De facto läuft das beides zusammen: Die flippigen Themen sind ja auch kleinere Jobs – und ein Business-Porträt erfordert meist einiges an Kreativität. Ich bin sehr glücklich, dass ich einen künstlerischen Job machen darf, mit Freiheiten und viel Abwechslung. Das angewandte Design ist mein Ding. Ob man mich bei meiner Arbeit als Künstlerin wahrnimmt, frage ich mich gar nicht.
RW: Das hat sich bei mir tatsächlich anders entwickelt. Das Künstlerische, das ist mein Leben, das ist für mich einfach normal.
Gebürtige Südbadenerin, Abitur in Freiburg; Studium Freie Bildende Kunst an der Gutenberg-Universität in Mainz. Im Anschluss ans Vordiplom Wechsel an die h_da, dort Studium des Kommunikations-Designs mit Schwerpunkt Fotografie. Nach dem Diplom 2005 Fotoassistenz bei teilweise international angelegten Shootings. Ab 2010 selbstständige Fotografin in Darmstadt mit den Schwerpunkten Architektur- und Porträtfotografie. Regelmäßige eigene Ausstellungen; seit 2013 Beteiligung an der fotografischen Visualisierung der jährlichen „Unwort“-Wahl.
Was hat die Pandemie mit Euch und Eurer Arbeit gemacht?
BH: Im März 2020 war bei mir die Auftragslage richtig gut – dann hat es gekracht. Ich kam noch gut bis zum Sommer, dann waren die Aufträge bei null. Weil die Kita zu hatte und ich meinen Sohn betreuen musste, war an normale Arbeit aber eh nicht zu denken. Mich hat ein Stipendium der Hessischen Kulturstiftung vor dem Ärgsten bewahrt. Zusammen mit einer Autorin habe ich für das Projekt „heartcor|e|ona“ Frauen porträtiert, die in der Pandemie besonders viel leisten mussten – Homeoffice und Homeschooling zum Beispiel – und ihre Geschichten erzählt. Das hat mir natürlich viel Spaß gemacht. Ich durfte machen, was ich am liebsten tue: Menschen über Porträtfotos an ihren Orten so einfangen, wie sie sind. Aber ich musste sämtliche Unterstützungsangebote annehmen. Die Vertretungsprofessur bringt mir momentan ein gutes Maß an Sicherheit.
RW: Mich haben während der Lockdowns Stipendien und die Architekturfotografie über Wasser gehalten. Aber es ging auch bei mir nur mit Hilfen.
Ist die Fotografie der Traumberuf für Euch?
RW: Mein Einkommen ist volatil, das macht es etwas unsicher und oft stressig. Ich würde mein Leben niemandem empfehlen. (lacht) Aber, ja, ich kann mir für mich nichts anderes vorstellen. Insgesamt fühle ich mich total wohl in meinem Job.
BH: Es ist ein toller Beruf! Auch wenn mal eine unliebsame Aufgabe dabei ist, erlebe ich ihn insgesamt als sehr abwechslungsreich und deshalb in Summe sehr schön. Aber man darf ihn nicht glorifizieren. Es ist trotzdem Arbeit und viel Verantwortung.
Daniel Timme
Mai 2022