Wer sich in Darmstadt für Politik interessiert, der kennt Kerstin Lau. Seit 16 Jahren sitzt sie für „Uffbasse“ im Stadtparlament, seit 2012 ist sie die Fraktionschefin der unkonventionellen Wählergemeinschaft. Die 48-Jährige studierte Sozialpädagogik an der h_da und was sie dort lernte, nutzt ihr heute auch in der Politik und im Berufsalltag. Lau schlägt leise Töne an und wird dennoch gehört. Die engagierte h_da-Alumna ist eine Frau mit vielen Facetten und rebellischer Vergangenheit.
Der Darmstädter Podcast „Podcastanie“ hat für Kerstin Lau eine schöne Überschrift gefunden, die ihren durchaus schillernden Werdegang treffend beschreibt. „Von der Punk-Lady zur Politik-Lilie“, hieß es dort. Das fasst viele der Eigenschaften zusammen, die die 48-Jährige ausmachen. Sie ist Arbeiterkind und ehemalige Punkerin, Darmstädterin aus Leidenschaft, Lilien-Fan und Gründungsmitglied von Uffbasse – die etwas andere Wählergemeinschaft, die 1993 mit dem tätowierten, Darmstädterisch babbelnden Motorrad-Fan, Frontmann und Enfant terrible Jörg Dillmann an den Start ging, um den Etablierten in der Stadtverordnung auf die Finger zu schauen.
Doch Kerstin Lau ist mehr. Sie ist Alumna der Hochschule Darmstadt, hat sich als alleinerziehende Mutter zweier Söhne behauptet, arbeitet seit vielen Jahren im Personalbereich der Deutschen Telekom und sitzt im Aufsichtsrat der HEAG. Fragt man sie selbst, lässt sie all das weg und beschreibt sich eher „als Zuhörerin denn Rednerin“, als einen „positiven, glücklichen Menschen“, der gerne liest, reist, sich für seine Kinder und Fußball begeistert und „mehr Liebe in die Welt bringen will“. Was wiederum nach der Sozialpädagogin klingt, zu der sie an der h_da ausgebildet wurde.
Mit dem Studium tat sich die 48-Jährige anfangs schwer, obwohl sie sich als „Bildungsgewinnerin“ bezeichnet. Lau stammt aus einer Arbeiterfamilie. „Ich war die Erste in der Familie, die Abitur gemacht und studiert hat.“ Sie hatte gute Noten, doch in dem katholischen Mädchengymnasium, auf das sie anfangs ging, rebellierte sie gegen die Lehrer*innen und allzu starre Strukturen. Besser wurde es nach dem Wechsel auf das Bertolt-Brecht-Oberstufen-Gymnasium in Darmstadt. Das anschließende Studium, sagt Lau, „habe ich mir erkämpft.“ Ihr Vater wollte, dass sie Beamtin wird, ihre Mutter präferierte Ärztin oder Anwältin. Die Tochter entschied sich für Politik und Germanistik an der Frankfurter Goethe-Universität. Doch an der großen Uni mit übervollen Hörsälen fühlte sie sich verloren. „Ich habe mich nicht zurechtgefunden“, sagt sie freimütig. Nach drei Semestern brach sie ab.
Bei einer Infoveranstaltung der Hochschule Darmstadt entdeckte sie die Sozialpädagogik für sich. Sie sprach mit Professor*innen und Studierenden und was sie hörte „klang gut“, erinnert sich Kerstin Lau. „An der h_da fühlte ich mich besser aufgehoben.“ Der Standort Adelungstraße war „kuscheliger“, sagt sie, die Lehrveranstaltungen und Zahl der Studierenden übersichtlicher. Das Studium machte ihr Spaß und „hat mir auch persönlich viel gebracht.“ Geprägt habe sie vor allem ein Soziologie-Professor. „Ich habe gelernt querzudenken, zu hinterfragen“, so ihre wichtigste Studienerfahrung. Spezialisieren wollte sich Lau auf die Arbeit mit Suchtkranken und benachteiligten Kindern und Jugendlichen. „Da hängt auch heute noch mein Herz dran. Die Gesellschaft muss da mehr tun.“
Ihr Anerkennungsjahr machte sie beim Jugendbildungswerk des Landkreises Darmstadt-Dieburg. Gearbeitet als Sozialpädagogin hat Lau jedoch nicht. Schon mit 17 war sie mit ihrem Freund zusammengezogen. Sie wurde schwanger und ihr erster Sohn kam direkt nach dem Anerkennungsjahr zur Welt. Arbeitszeiten und Bedingungen in der Sozialarbeit waren mit Kind für sie nicht mehr familienfreundlich genug. Schon während des Studiums hatte sie bei T-Systems gearbeitet und als man ihr bei der Telekom einen Job anbot, griff sie zu.
Bereut hat sie das nicht. „Ich habe immer spannende Jobs gefunden.“ Gearbeitet hat sie seither in verschiedenen Positionen in der Personalabteilung im Bereich Einstellungsprüfungen, Vertragserstellung, Teilzeitanträge, betriebliches Gesundheitsmanagement oder Coaching. Das Unternehmen unterstützte sie bei einer Zusatzausbildung zur Mediatorin. Seit 2017 ist sie in einem Projekt zur Verhinderung der rechtlichen Risiken von Scheinselbständigkeit und illegaler Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt. Das klingt erst einmal etwas fern der Punkerszene, der Kerstin Lau seit Jugendjahren angehörte und die auch zum Umfeld von „Uffbasse“ zählt. Doch Arbeit, Privates und Politik trennt sie von jeher strikt, betont die h_da-Alumna.
Lau charakterisiert sich als gerechtigkeitsliebend, geprägt von ihrem Großvater, einem engagierten Gewerkschafter, der sie schon als Kind mit zu Mai-Kundgebungen nahm. Sie mag Punkmusik, hat früher viele Konzerte in ganz Deutschland in besetzten Häusern mitorganisiert. Punk ist für sie vor allem eine politische Bewegung, die gegen das Establishment opponiert. „Mit Stachelfrisur bin ich aber nie rumgelaufen.“ Das „Revolutionäre in ihr“ spielte aber eine Rolle, als sie Anfang der 1990er mit Freunden „Uffbasse“ gründete. Schon damals ging es der Sozialpädagogin darum, Benachteiligten und sogenannten bildungsfernen Schichten mehr Gehör zu verschaffen. Die etablierten Parteien waren für sie keine Option, obwohl sie aus einer sozialdemokratischen Familie stammt. „Ich wollte mich keinen Strukturen unterwerfen.“ Aus dem Stand holte „Uffbasse“ bei der Kommunalwahl damals zwei Sitze in der Stadtverordnetenversammlung und mischte die Stadtpolitik auf, heute hat die Wählervereinigung sogar fünf Sitze. Kerstin Lau kam 2004 ins Parlament. Arbeitende Frauen, erinnert sie sich, wurden von den Männern in der Kommunalpolitik damals noch belächelt. Sie scherte sich nicht drum, wollte etwas bewirken und verändern.
2012 übernahm sie den Fraktionsvorsitz von Frontmann Jörg Dillmann. Lau hat ihre eigene Note eingebracht. „Mir ist es wichtig, achtsam mit den Menschen umzugehen. Ich will keinen bloßstellen, auf Fehlern herumhacken oder andere an die Wand fahren. Wie manche sich in der Politik benehmen, ginge im Beruf niemals“, so die Alumna. Sie ist der nachdenkliche Typ, nicht Selbstdarstellerin. „Es öffnet Türen, wenn man einen anderen Stil hat. Ich sage trotzdem meine Meinung und bin hartnäckig.“ Seit 2016 kooperiert „Uffbasse“ mit der grünschwarzen Stadtregierung – zu festgelegten Themen wie der freien Kulturszene, dem öffentlichen Nahverkehr, Berufsschulzentrum oder Böllenfalltor-Stadion. „Wir haben nie Frontalopposition gemacht, immer sachbezogen entschieden.“ Heute hat Kerstin Lau das Gefühl, „etwas verändern zu können. Man nimmt unsere Vorschläge an, hört zu.“
Arbeit, Kinder und Politik - das war für die 48-Jährige nicht immer einfach. Seit neun Jahren erzieht sie ihre zwei Söhne alleine. Eine anstrengende Situation, die sie mit Hilfe von Familie und Freunden stemmte. Gemeinsam mit ihren Kindern hat sie immer viel Zeit beim Fußball verbracht. Sie sind glühende Lilien-Anhänger, Kerstin Lau engagiert sich im Fan-Bündnis. Viele Jahre war sie auch bei nahezu jedem Spiel, auch auswärts, dabei. Jetzt, wo die Söhne fast erwachsen sind, bleibt ihr wieder mehr Zeit. „Manchmal habe ich das Bedürfnis, mich wieder mehr für die soziale Arbeit zu engagieren“, sagt sie. Vielleicht als Patin für Jugendliche und Familien in Brennpunkt-Vierteln der Stadt. Da spricht wieder ganz die h_da-Sozialpädagogin aus ihr.
Astrid Ludwig
Juni 2020