Er gehörte zum letzten Abitur-Jahrgang der ehemaligen DDR. Nach zehn Jahren im Bankwesen entschloss sich Karsten Schrobback mit knapp 30 zum Biotechnologie-Studium an der h_da. Aus der als Intermezzo gedachten Diplomarbeit in Brisbane wurde ein längerer Aufenthalt: bis heute 15 Jahre. Mit knapp 50 blickt er vom anderen Ende der Welt auf einen ungewöhnlichen Lebensweg – manch beherzter Richtungswechsel inklusive.
Gestreiftes T-Shirt, gebräunt, gelassen – so der erste Eindruck von Dr. Karsten Schrobback, als er sich aus seinem Arbeitszimmer ins Videotelefonat einklinkt. Es ist schon 21 Uhr Ortszeit, aber: „Diese Zeit ist immer gut, weil die Kinder dann im Bett sind.“ Schrobback ist Lehrbeauftragter am Fachbereich Biomedical Sciences der Queensland University of Technology (QUT) und Gruppenleiter bei CARP Pharmaceuticals. Der Bundesstaat Queensland, im Nordosten Australiens gelegen, ist rund fünfmal so groß wie Deutschland und hat alleine 7.000 Kilometer Küste. Leben in der Hauptstadt Brisbane, das heißt: beliebte Surfreviere vor der Haustür und das Great Barrier Reef in Reichweite. Was macht diese Umgebung mit einem? „Die Australier sind ziemlich entspannt. Das fällt auch leichter, wenn an 200 Tagen im Jahr die Sonne scheint“, sagt Schrobback und grinst. „Die Lebensqualität und die ausgeprägte Draußen-Kultur hier sind toll: Man hält sich viel in Parks und am Strand auf.“
Krankheitsverläufe verlangsamen
CARP steht für Cancer and Ageing Research Program. Seine Forschungsarbeit dreht sich also um Krebs und Alterung. Ehe er das präzisiert, hält Schrobback kurz inne. Etwas verblüfft stellt er fest, dass es bisher noch nie nötig war, das ins Deutsche zu übersetzen. Was dann aber doch bestens gelingt: „Krankheiten wie Krebs gehen meist auf ungewollte Veränderungen des genetischen Codes zurück. Die Körperzellen verfügen zwar über ausgeklügelte Reparaturmechanismen, aber diese Fähigkeiten nehmen mit dem Alter ab“, beschreibt der 49-Jährige den Hintergrund. „Wir untersuchen, welche Mechanismen und Proteine daran beteiligt sind und versuchen, pharmazeutische Mittel zu entwickeln, um die Krankheitsverläufe zu verlangsamen oder sogar aufzuhalten.“
Dass Karsten Schrobback schnell die passende fachliche Flughöhe für seine Zielgruppe findet, mag daran liegen, dass die Lehre inzwischen etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit ausmacht. Zuvor hatte er lange ausschließlich geforscht. „In meinem jetzigen Forschungsgebiet arbeite ich erst seit dreieinhalb Jahren“, sagt er. „Vorher habe ich mich intensiv mit Osteoarthrose beschäftigt, speziell der Knorpelregeneration im Knie. Es ging unter anderem darum, Gewebe im Labor zu züchten. Aber mit diesem klassischen Ingenieursansatz war ich zunehmend unzufrieden.“ Inzwischen widmet er sich stärker der Erforschung zellbiologischer Prozesse – und der Lehrtätigkeit. „Ich habe festgestellt, dass mir die Lehre auch großen Spaß macht.“
Die Freude an seiner Tätigkeit ist ein starkes Motiv für Karsten Schrobback. „Meine Erfahrung und Überzeugung ist: Man kann nur gut in etwas sein, an dem man Spaß hat. Meine größten Motivatoren im Beruf sind Neugier und Interesse“, sagt er. Es ist eine Selbsterkenntnis, die er in dieser Klarheit erst im Laufe seines Lebens gewonnen hat.
Die Mauer fiel – und viel Neues stürzte auf ihn ein
Karsten Schrobback gehörte 1990 zum letzten Abitur-Jahrgang der ehemaligen DDR. Seine Schulzeit endete, die Mauer fiel und viel Neues stürzte auf ihn ein. „Alles veränderte sich und ich stand vor der Frage: Was mache ich jetzt? Eine Ausbildung zum Bankkaufmann schien mir eine sichere Sache zu sein.“ Die Deutsche Bank schickte ihn schon nach wenigen Monaten nach Bonn. „Von der tiefroten DDR ins erzkonservative Bonn – das war eine wahnsinnige Umstellung“, erinnert er sich. „Kulturell empfand ich die Unterschiede zwischen Ost und West als erstaunlich groß – gerade die Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgingen.“
Schrobback qualifizierte sich zum Bankfachwirt fort, wechselte mehrfach Positionen und Wohnorte. Auf Bonn folgten Frankfurt am Main, Straßburg, Augsburg. Wirklich glücklich war er nicht. „Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, dass nicht ich das Problem bin, sondern der Job.“ Als ihm das 2001 klar wurde, steuerte er radikal um. „Dieser Wechsel mit 29, nachdem ich zehn Jahre lang ein festes Einkommen hatte, brachte Grübeln, Unsicherheit und Angst mit sich. Aber letztlich war die Überzeugung stärker, dass sich etwas ändern muss. Rückblickend bin ich vor allem überrascht, dass ich das so lange ausgehalten hatte.“
Aber was nun? Bio und Chemie hatten Schrobback schon in der Schule interessiert. „Zu dieser Zeit entwickelte sich gerade die Biotechnologie, diese Kombination fand ich spannend.“ Die Suche nach einer Hochschule führte ihn zur damaligen FH Darmstadt. Bald darauf gehörte er zum ersten Jahrgang des Diplom-Studiengangs Biotechnologie. Es war die richtige Wahl: „Dass der Fokus auf der praktischen Ausbildung lag, halte ich für ein großes Plus. Es ist auch im biomedizinischen Bereich ein Vorteil, schon mal mit einer Pipette gearbeitet zu haben.“
Australien? Es hat einfach gepasst
Eher zufällig landete Schrobback dann in Australien. „Ich wollte 2005 meine Diplomarbeit im Ausland schreiben – und mal raus aus Europa“, erinnert er sich. Er schickte Anfragen nach Kanada und Australien. „Die QUT in Brisbane antwortete per Mail: ‚Wir nehmen Sie, kommen Sie runter‘.“ Seine damalige Freundin und heutige Frau, beide hatten sich noch in Frankfurt (Oder) kennengelernt, hatte gerade ihr VWL-Studium in Frankfurt am Main abgeschlossen. Auch sie fand einen Job in Brisbane. „Es hat einfach alles gepasst. The rest is history“, sagt Karsten Schrobback und lacht.
Die den Bewohner*innen eigene Gastfreundschaft trug dazu bei, dass die beiden sich schnell heimisch fühlten. „Die Australier sind sehr herzlich. Immer wenn wir in unseren ersten Tagen in Brisbane den Stadtplan aufgeschlagen haben, kamen sofort zwei, drei Leute dazu, um zu helfen. Das war eine tolle Erfahrung – und ein echter Kontrast zur ostbrandenburgischen Höflichkeit“, erinnert sich Schrobback schmunzelnd. Und es passte weiter: Er konnte an der QUT nahtlos auch seinen Doktor machen – und 2007 heiratete er seine langjährige Freundin.
Nach einem zweijährigen Abstecher als Postdoc in einer Forschungsgruppe am Christchurch Hospital in Neuseeland kehrte Karsten Schrobback 2012 nach Brisbane zurück. In den Jahren danach kamen die beiden Töchter des Paares zur Welt. Das, sagt er, habe seine Einstellung zu Leben und Job geändert: „Das relativiert alles.“ Die Arbeit im akademischen Bereich sei vor diesem Hintergrund durchaus problematisch: „Es ist schwierig, eine Festanstellung und somit Stabilität zu finden. Aber letztlich ist immer wieder eine Tür aufgegangen und es gab den Anschlussvertrag.“ Die Erziehung der Kinder in Kombination mit Vollzeitarbeit lasse sie manchmal an ihre Belastungsgrenzen stoßen. „Aber vieles macht einfach auch Spaß.“ Gleichzeitig könne er die Arbeit auch loslassen: „Ich muss nicht arbeiten, bis ich 70 bin.“
Zäsur Corona
Australien fährt in der Corona-Pandemie einen rigorosen, recht erfolgreichen Kurs und hat frühzeitig die Grenzen geschlossen. Die Auswirkungen der Beschränkungen auf seine Arbeit seien überschaubar, sagt Karsten Schrobback. „Unser Fachbereich Biomedical Sciences ist relativ wenig von internationalen Studierenden abhängig.“ Wie auch in Deutschland seien Videokonferenzen in Forschung und Lehre schnell zur neuen Normalität geworden. Parallel habe die QUT aber auch schon zum zweiten Semester 2020 wieder Präsenzlehre mit weniger Personen und Abstandsregeln angeboten. Dennoch litten auch in Brisbane die Studierenden unter wegfallenden Präsenzangeboten. „Und insgesamt fehlen Australien die Studierenden aus dem asiatischen Raum schon sehr.“
Für seine Familie sei die Unmöglichkeit zu reisen das Schwierigste. Gerade den Großeltern in Deutschland mache es zu schaffen, ihre Enkel nicht sehen zu können. „Wir vermissen die Nähe zur Familie. Corona macht gerade die Lücken unseres Lebensmodells sichtbar.“ Alle vier Schrobbacks besitzen beide Staatsbürgerschaften. Ob sie irgendwann zurück nach Deutschland kommen? „Never say never“, sagt Karsten Schrobback. Dass die Antwort spontan auf Englisch kommt, mag ein unbewusster Fingerzeig sein.
Daniel Timme
Juni 2021