Mitten im Grünen zwischen Darmstadt und Mühltal hat ein von h_da-Absolventen gegründetes und geführtes IT-Unternehmen seinen Sitz. Markus Arnold, Thomas Weible (beide 40) und Stephan Werner (36) haben eine ehemalige Gaststätte zur Firmenzentrale von „Flexoptix“ umbauen lassen. Und sie erweitern die Liegenschaft sukzessive zum Technologie-Campus, der Wohnen und Arbeiten verbinden soll. Das Interview absolvieren sie coronakonform mit Stoffmasken im leuchtenden Orange ihrer Firma. Deren Credo spiegelt der aufgedruckte Slogan: „Less bullshit, more engineering“.
Herr Arnold, Herr Weible, Herr Werner, schnelles Internet ist extrem gefragt, die technologische Entwicklung rast. Gute Marktbedingungen für Sie, oder?
Markus Arnold (MA): Ja, die Bandbreiten steigen gigantisch. All die Videos und Streams, die wir täglich nutzen, müssen ja durchs Netz geschaufelt werden. Da stößt das Kupferkabel als Übertragungsmedium an seine Grenzen. Für hochbitratige Verbindungen über längere Strecken führt kein Weg an Glasfaser vorbei.
Thomas Weible (TW): Als wir 2008 angefangen haben, war eine Datenrate von 1 Gigabit pro Sekunde der Standard. Seither gab es drei große technologische Sprünge: auf 10, 100 und heute 400 Gigabit pro Sekunde.
Vor 20 Jahren haben uns noch fiepende Modems von Elsa „ins Internet gebracht“. Seither ist enorm viel passiert. Können Sie in drei Sätzen einordnen, was Flexoptix anbietet?
TW: Okay, die Challenge nehmen wir an. Also jeder einen Satz. Hier kommt meiner: Wir stellen das Elsa-Modem aus dem Jahr 2020 her …
Stephan Werner (SW): … das aber nicht Strom, sondern Licht überträgt.
MA: Es gibt viele Modems, aber nur einen Anschluss, der für alle passt.
Nicht schlecht, das waren sogar nur zwei Sätze. Aber ich fürchte, Sie müssen das doch noch mal etwas ausführlicher erklären ...
MA: Ich hole mal ein bisschen aus. In der Netzwerktechnik gibt es viele verschiedene Standards, Geräte und Spezifikationen. Das führt zu Schnittstellenproblemen. Um die Vielfalt zu reduzieren, haben die Hersteller die physikalische Anbindung – zum Beispiel die Art des Glasfaserkabels – standardisiert, modularisiert und so die Konnektivität aus ihren Geräten ausgelagert. Sie konzentrieren sich auf universelle Endgeräte, die die Kernaufgaben Routing und Switching erledigen. Sogenannte Transceiver senden und empfangen die Datensignale in Glasfasernetzen.
TW: Ein frühes Modem schaffte 14,4 Kilobit pro Sekunde, ein 400G-Transceiver schafft 425 Millionen. Wir bieten unter anderem steckbare Transceiver an und programmieren die Software dafür.
MA: Außerdem haben wir die Flexbox samt Software entwickelt. Das ist ein universalisiertes Programmier-Interface für die optischen Module der Hersteller, das es inzwischen in der vierten Generation gibt. Weil die Hardware-Standards unterschiedlich interpretiert werden, funktioniert die Datenübertragung zwischen den Netzwerkkomponenten nicht ohne Weiteres. An die Flexbox lassen sich fast alle existierenden Industrie-Standards anschließen. Sie bringt den Endgeräten bei, miteinander zu kommunizieren. Außerdem ist sie Mess- und Diagnosegerät. Manche Kunden nennen sie deshalb das Schweizer Taschenmesser für Netzwerkplaner. Wir waren mit der Flexbox die Ersten, die es ermöglicht haben, die Optiken zu universalisieren. Inzwischen haben einige Marktbegleiter nachgezogen.
Wer sind Ihre Kunden?
MA: Die Betreiber von Glasfasernetzen. Also zum Beispiel DE-CIX in Frankfurt, der weltweit größte kommerzielle Internetknotenpunkt, verschiedene Telekommunikationsanbieter, aber auch Betreiber von Campusnetzen wie die h_da. Ein aktueller steckbarer Transceiver kostet bis zu 20.000 Euro. Wenn Änderungen am Netz nötig sind, haben die Betreiber entsprechend großes Interesse daran, die darin enthaltenen Transceiver weiter zu nutzen.
TW: Wir sind 2009 als Plattform an den Markt gegangen. Heute würde man es Cloud-Dienst nennen.
MA: Wir bieten einen zentralen Webdienst an, der alle Flexboxes weltweit bedienen kann. Darüber können unsere Anwender über Laptop oder Smartphone ihre Transceiver für ihren Einsatz programmieren.
Sie firmieren als CEO, CTO und COO. Wie leben Sie diese Rollenverteilung?
TW: Stephan kann super organisieren, Dinge strukturieren, passende Prozesse aufsetzen. Daher ist er unser Chief Operating Officer. Er hat noch einen anderen Background als Markus und ich, weil er vor dem Studium bei einer Bank gelernt und gearbeitet hat. Markus kann sehr gut den Überblick über komplexe Dinge behalten, fünf Schritte vorausdenken und potenzielle Schwachstellen erkennen. Deshalb kümmert er sich als CEO um unsere strategische Ausrichtung. Und ich bin als Chief Technology Officer der Kreative, der Punk oder Querdenker – auch wenn das Wort leider gerade in anderer Bedeutung gebraucht wird.
MA: Wir besprechen alles Wichtige und entscheiden gemeinsam. Jeder hat seine Stärken und Schwächen …
TW: … die wir alle drei respektieren. Wir ergänzen uns in unserer Inhomogenität.
Warum haben Sie damals an der h_da studiert?
MA: Für uns alle war der Kooperative Studiengang Informatik (KoSI, siehe Infobox) entscheidend. Uns gefiel das Konzept der Berufsakademien. Wir wollten nicht nur studieren, sondern auch Praxisbezug und ein Einkommen haben.
SW: Darmstadt war relativ groß und gut erreichbar, das war auch ein Argument.
Der Kooperative Studiengang Informatik (KoSI) ist eine duale Variante des Informatikstudiums an der h_da und gilt als Trendsetter des dualen Studiums in Hessen. KoSI verbindet Themen der allgemeinen und der Wirtschaftsinformatik, hat eine Regelstudienzeit von sieben Semestern und mündet in den Bachelor of Science. Die KoSI-Studierenden sind bei einem Unternehmen der IT-Branche beschäftigt, wodurch sie in vorlesungsfreien Zeiten bereits Berufserfahrung sammeln und durchgehend ein Gehalt beziehen.
In ihren Praxisphasen bearbeiten „die KoSIs“ Projekte aus dem Unternehmensalltag, wobei sie von Unternehmen und Hochschule gemeinsam betreut werden. Wahlpflichtmodule ermöglichen individuelle Schwerpunktsetzungen, anschließend ist eine weitere Vertiefung im Masterstudiengang möglich. Ähnlich strukturiert ist der Bachelor-Studiengang IT-Sicherheit (KITS).
Die KoSI-Absolventen Markus Arnold, Stephan Werner und Thomas Weible engagieren sich im Ehemaligennetzwerk Kooperativer Studiengänge der Informatik, kurz ExKoSI. Der eingetragene Verein widmet sich der Kontaktpflege und dem Wissensaustausch unter den Ehemaligen und mit der Wirtschaft. Dazu initiiert er unter anderem Forschungsprojekte, vergibt Stipendien oder richtet Abschlussfeiern aus.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
MA: Ich gehörte 2000 zu den Studenten des zweiten Semesters des neuen Studiengangs KoSI, damals noch in Dieburg. Thomas hat 2001 angefangen. Wir waren Mitbewohner im damaligen Studierendenwohnheim in der Altheimer Straße.
TW: Danach haben sich unsere Wege erst mal getrennt. Markus hat gearbeitet, ich habe noch den Master gemacht. Aber wir haben Kontakt gehalten. Im Januar 2008 haben wir dann gegründet. Stephan hat 2006 das Studium angefangen und kam 2009 dazu.
SW: Markus war mein KoSI-Betreuer von Firmenseite. Ich habe ab 2010 noch nebenher meinen Master in Wirtschaftsinformatik an der h_da gemacht. Seit 2013 bin ich COO.
TW: In der Startphase war Helmut Wörner sehr wichtig für uns, der Gründer der Controlware GmbH in Dietzenbach (siehe Infobox unten). Er hat uns ermutigt und Dinge ermöglicht, aber unseren Weg mussten wir selber finden und gehen.
MA: Helmut Wörner hat uns Büroflächen in seinem Firmengebäude vermietet, das war unser erster regulärer Firmensitz. Er war ein Mentor und Sparringspartner für uns, hat uns gefördert und unterstützt. Dafür sind wir ihm sehr dankbar.
Ihr heutiger Firmensitz ist sehr ungewöhnlich. Was ist die Geschichte dahinter?
MA: Wir haben ab 2014 einen neuen Standort gesucht und waren uns einig, dass der nicht in einem sterilen Industriegebiet sein soll.
TW: Unsere Idee war, einen Technologie-Campus zu begründen, der Wohnen und Arbeiten kombiniert. So sind wir auf diese Liegenschaft gestoßen: Sie besteht aus sieben Gebäuden und ist etwa 10.000 Quadratmeter groß. Das ehemalige Gasthaus haben wir nach dem Umbau 2017 bezogen. Gerade sanieren wir die historische Koppenmühle denkmalgerecht. Dabei entsteht auch Wohnraum für Mitarbeitende oder auch Externe.
MA: Diese Umgebung, die Natur, die Tiere, das genießen wir sehr. Da sieht man auch mal ein Reh oder es fliegt ein Fischreiher vorbei. Und der Standort hat sich bewährt. Über die Bundesstraße sind wir perfekt an die A5 und den Flughafen angebunden, was für viele unserer Kunden wichtig ist.
Welche anderen großen Veränderungen gab es seit 2008?
MA: Unsere Kundschaft wurde internationaler, wir hatten plötzlich auch Anwender in Südamerika oder Südafrika. Deshalb mussten wir zum Beispiel unseren Webdienst so gestalten, dass er weltweit nutzbar ist.
TW: 2012 haben wir uns für den Direktvertrieb über einen B2B-Shop entschieden – und für absolute Transparenz: Unsere Preise und Lagerbestände sind einsehbar. Das hatte für uns letztlich nur Vorteile. Standard-Anfragen wie: ‚Haben Sie dieses Teil vorrätig und wann ist es bei mir?‘ beantwortet der Shop für uns.
Wie viele Mitarbeiter*innen haben Sie heute?
TW: Circa 60. Weltweit. (schmunzelt) Wir haben je einen Mitarbeiter in den USA, Südafrika und Berlin, die anderen sitzen im Rhein-Main-Gebiet. Die weltweite Transceiver-Produktion sitzt in Asien, auch unsere. Unsere Eigenprodukte lassen wir in Seligenstadt von einem externen Partner montieren.
MA: Das sind relativ geringe Stückzahlen, das hat sich bewährt. Aber unser Firmensitz ist der einzige Standort. Hier arbeiten gut 40 Leute. Im Keller konstruieren und bauen wir unsere Prototypen.
Helmut Wörner ist Gründer der Controlware GmbH (Dietzenbach). Als Systemintegrator plant, implementiert und betreibt das Unternehmen IT-Infrastrukturen, IT-Sicherheitslösungen und Rechenzentren für seine Kunden. Wörner war 1999 maßgeblich an der Gründung des Kooperativen Studiengangs Informatik an der h_da beteiligt, engagierte sich zudem von 2003 bis 2005 im Hochschulrat der h_da. Im Januar 2013 wurde Helmut Wörner zum Ehrensenator der Hochschule Darmstadt ernannt.
Die Controlware Stiftung ist unter anderem Sponsor des jährlich vergebenen Dörte-Wörner-Innovationspreises. Namensgeberin und Vorstandsmitglied der Stiftung ist Helmut Wörners Ehefrau. Der Preis prämiert innovative Ideen von IT-Studierenden in dualen beziehungsweise kooperativen Studiengängen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der h_da.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihr Geschäft aus?
TW: Unsere Außendienstleute, die weltweit unterwegs sind, reisen nun weniger – und das funktioniert. Sie haben auch vorher teilweise schon „remote“ gearbeitet, also aus der Distanz. Dafür müssen wir bei den Kunden nun nicht mehr um Verständnis werben. Corona hat uns da alle aus unserer Komfortzone geschubst.
MA: Jetzt arbeiten wir fast alle ortsunabhängig und haben diesen gemeinsamen Erfahrungsschatz. Videokonferenzen zum Beispiel sind normal geworden.
SW: Wir glauben, rückblickend wird manches auch positiv gesehen werden.
Berufsanfänger*innen wird gerne zu Offenheit, Neugier, Mut geraten. Gehen Sie da mit – oder welche anderen Eigenschaften fallen Ihnen ein?
MA: Als junger Mensch bist du an manchen Stellen zu vorsichtig, an anderen Punkten überschätzt du dich vielleicht. Diese Unbedarftheit oder auch Naivität finde ich wichtig. Ja klar, Erfahrung ist wichtig. Aber du brauchst heute genau die Leute, die einfach loslaufen, um festzustellen, ob etwas funktioniert oder nicht.
TW: Das unterschreibe ich so. Was noch wichtig ist, sind Biss und die Bereitschaft, sich die Finger schmutzig zu machen.
SW: Ehrgeiz und Initiative zeigen, sich einbringen wollen und: machen – das ist es, was man mitbringen muss. Alles andere ergibt sich daraus.
Ihr Firmensitz und Ihre Außendarstellung versprühen Start-up-Spirit – obwohl Sie schon 13 Jahre im Geschäft sind. Ist das ein Alleinstellungsmerkmal?
MA: Ja, wir haben uns das Anderssein bewahrt. Es ist immer schwieriger, nicht mit dem Hauptstrom zu schwimmen. Aber wir glauben, dass man trotzdem erfolgreich sein kann. Und wir glauben ans Machen. Ohne das sind alles nur Luftschlösser.
Daniel Timme
Februar 2021