Seit kurzem gilt das Promotionsrecht auch für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Dass FH-Absolventen promovieren, war 2008, als Felicitas Rapp ihre Doktorarbeit begann, noch die Ausnahme. Es war der Auftakt für eine akademische Karriere: Heute arbeitet die Biotechnologin und Alumna der Hochschule Darmstadt als Wissenschaftlerin am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, forscht für die europäische Raumfahrt und hält Vorlesungen in Humanbiologie an ihrer Alma Mater.
Es gab viele erste Male für Felicitas Rapp. Sie war die Erste, die in ihrer Familie studierte. 2001 zählte sie zum ersten Jahrgang, der an der Hochschule Darmstadt (h_da) das Studium in Biotechnologie aufnahm und sie war unter den ersten jungen Diplom-Ingenieurinnen, die sich im Fachbereich Chemie- und Biotechnologie zur Promotion entschlossen. Dabei hatte die 36-Jährige, die seit 2013 nun den Titel Dr. rer.med. trägt, nach dem Abitur in der Berufswahl noch geschwankt - "zwischen Physiotherapeutin mit Schwerpunkt Reittherapie, Polizistin und Biotechnologin", erzählt sie. Dass sie sich für Darmstadt und die Hochschule entschied, lag am damals noch seltenen Studienfach. "Eine fachübergreifende Arbeit war mir wichtig. Biotechnologie war die Schnittstelle für gleich mehrere Naturwissenschaften, für Chemie, Biologie, Medizin und Technik. Das gefiel mir", sagt Felicitas Rapp, die als Studentin Merz hieß. Medizinische und humanbiologische Fragestellungen interessierten sie schon früh. "Ich bin familiär vorbelastet", lacht sie. Ihre Mutter arbeitete in einer Arztpraxis, die Schwester als Krankenschwester.
An einem sonnigen Nachmittag sitzt die junge Wissenschaftlerin bei einem Kaffee auf der Cafeteria-Terrasse des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung im Darmstädter Stadtteil Wixhausen. Eine kurze Pause von der Laborarbeit. Dass sie heute in der international renommierten Forschungseinrichtung arbeitet, wo derzeit für über eine Milliarde Euro ein neuer, unterirdischer Ringbeschleuniger entsteht, hat eng mit der Hochschule Darmstadt zu tun. Denn eine Veranstaltung sollte sich während ihres Studiums als prägend für den weiteren Lebenslauf erweisen - die Vorlesung über Strahlenbiologie, die die GSI-Wissenschaftlerin Prof. Claudia Fournier an der h_da hielt und auch heute noch hält. Darin ging es unter anderem um neue Wege in der Krebstherapie durch Ionenstrahlen. "Das fand ich gleich faszinierend", erinnert sich Rapp.
Doktortitel eröffnet neue Berufschancen
Strahlen- und humanbiologische Themen ließen sie nicht mehr los. In ihrer Diplomarbeit bei Prof. Dieter Pollet beschäftigte sie sich mit Stammzellen und Kardiotoxizität und die anschließende Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am h_da-Fachbereich widmete sie der Frage, ob und wie schädlich sich Mobilfunkstrahlen auf menschliche Lymphozyten und Chromosomen auswirken. Während der Forschung an diesem Drittmittel-Projekt reifte auch der Entschluss, zu promovieren. "Mit einem Doktortitel hat man ganz andere Berufschancen in der Biotechnologie, vor allem in der Forschung. Für Diplom-Ingenieure gab es kaum passende Jobs und als Technische Assistentin angestellt zu sein, war mir zu wenig." Doch als Fachhochschülerin zu promovieren, war vor rund zehn Jahren noch eher "eine Ausnahme", betont sie.
Der sehr gute Diplomabschluss, ihre Laborerfahrung und die Fähigkeit, selbstständig zu arbeiten, halfen ihr jedoch bei der Suche nach einem Promotionsthema und einem Doktorvater. Den fand Felicitas Rapp in Prof. Ingo Bechmann, der zunächst am Anatomischen Institut der Frankfurter Goethe-Universität lehrte und forschte, jedoch später an die Universität in Leipzig wechselte. Rapp wechselte mit ihm von Frankfurt nach Ostdeutschland. Bei ihrer Promotion ging es erneut um ein strahlenbiologisches Thema. "Es war ein Spin-off eines Projektes, an dem ich für GSI und die Europäische Raumfahrtagentur ESA mitgearbeitet hatte", erzählt sie. Damals ging es um das gesundheitliche Risiko, dem Astronauten bei längeren Weltraumaufenthalten ausgesetzt sind. Wie wirken sich die Strahlungen im All auf das Gehirn aus, beziehungsweise auf bestimmte Hirnregionen wie den Hippocampus, wo Gedächtnis oder auch räumliche Orientierung angesiedelt sind? Dafür untersuchte Rapp unter anderem hippocampale Slicekulturen , die sie mit Photonen und Schwerionen bestrahlte.
Innovativer Weg in der Krebsforschung
Slicekulturen sind dünne Schichten aus Geweben von Tieren oder auch Menschen, bei dem im Gegensatz zu klassischen Zellkulturen alle natürlich vorkommenden Zellen des Gewebes erhalten bleiben. Die Methodik der Slicekulturen wandte die 36-Jährige auch für ihre Doktorarbeit an. Diesmal untersuchte sie Gewebescheiben von humanen Glioblastomen, einem aggressiven, meist tödlichen Hirntumor. Das Material, berichtet sie, stammt von operativ entfernten Tumoren. Rapp wollte ein Testsystem für neue Therapien entwickeln, herausfinden, ob sich die bösartigen Veränderungen mit Ionenstrahlen effektiver behandeln lassen als mit Röntgenstrahlen. Ein Projekt, das auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde. Für ihre hervorragende Dissertation wurde sie mit dem Doberentz-Preis der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig ausgezeichnet. Die Jury lobte den "innovativen Weg in der Krebsforschung."
Die Nachwuchsforscherin blieb als Postdoc in Leipzig. Zwei Jahre lang suchte sie mit ihrem Team nach alternativen Verfahren, die Tierversuche ersetzen könnten. Auch hier war die Basis, menschliches postoperatives Gewebe zu nehmen statt an Mäusen zu experimentieren. Die Arbeit gefiel ihr gut, aber ihr damaliger Freund und heutiger Mann lebte im Rhein-Main-Gebiet. Gemeinsam wollten sie nach Stellen in Hamburg, Leipzig oder Darmstadt suchen. Bei der GSI, wo sie 2008 an einem Graduierten Programm teilgenommen hatte, rief sie an, um den früheren Abteilungsleiter eigentlich um ein Empfehlungsschreiben zu bitten. Sie erfuhr, dass dort gerade eine Postdoc-Stelle frei war, bewarb sich und wurde genommen.
Derzeit hat sie eine Stelle inne im Drittmittel-Projekt GREWIS - Genetische Risiken und entzündungshemmende Wirkung Ionisierender Strahlen. Die Forschung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. An dem bundesweiten Projekt sind neben der GSI auch die TU Darmstadt und das Universitätsklinikum Erlangen beteiligt. Ihre Gruppe wird von Prof. Claudia Fournier geleitet, der h_da-Dozentin, die sie damals für die Strahlenbiologie begeisterte. In GREWIS geht es um Niedrigdosiseffekte von Röntgen- oder auch Radonstrahlen auf das Immunsystem von Menschen, die beispielsweise an rheumatoider Arthritis oder anderen chronisch-entzündlichen Krankheiten leiden. Felicitas Rapp testet verschiedene Bestrahlungstherapien. Auch in der Raumfahrtforschung würde sie gerne weiterhin aktiv bleiben. Ende des Jahres könnte ein ESA-Projekt starten, wo es erneut um die Auswirkung von Weltraumstrahlung bei Astronauten geht. Die h_da-Alumna will herausfinden, ob Entzündungsreaktionen im Hirn von Astronauten vermieden werden können.
Als Dozentin an die h_da zurückgekehrt
Seit April 2016 hat Felicitas Rapp noch eine weitere Tätigkeit übernommen: Sie ist Lehrbeauftragte an der h_da und hält Vorlesungen in Humanbiologie. Ihr "Diplom-Vater" Prof. Pollet wies sie auf die Stelle hin und ermutigte sie zur Bewerbung. "Das war erst einmal ungewohnt, an seiner alten Hochschule plötzlich auf der anderen Seite zu stehen, zusammen mit meinen ehemaligen Professoren", lacht sie. "Aber es ist schön, wenn sich vieles neu verbindet." Doch wie hält man eine Vorlesung? Eine neue, arbeitsintensive Aufgabe, die sie spannend findet und in die sie sich hineingekniet hat. "Schließlich ist das ein Wahlpflichtfach. Meine Studierenden sollen Spaß haben und etwas daraus mitnehmen." So wie sie selbst als Studentin vor vielen Jahren.
Astrid Ludwig
Juni 2018