Labor für Kolbenmaschinen

Von Rechenschiebern und „Bonzenhebern“

Von der Städtischen Maschinenbauschule zur modernen Ingenieursausbildung

Das Hochhaus ist ein tragendes Element nicht nur in der Fachhochschulgeschichte, sondern auch in der Historie des Fachs Maschinenbau, für das es Anfang der Sechziger gebaut worden war. Es war damals wie heute Darmstadts höchstes Haus und trägt viele Erinnerungen in sich. Und als Dieter Schulmeyer und Edgar Nowald als junge Maschinenbau-Studenten dort eingezogen, staunten sie nicht schlecht über dessen Modernität. „Da war wahnsinnig viel Platz“, erzählen sie. In den großzügigen Fluren hätten sie zuweilen Fußball gespielt – wenn auch nicht mit einem ledernen Ball, sondern mit einem aus zusammengeknüllten Papier. Eine Spielwiese waren für die jungen Männer aber auch die Fahrstühle – vor allem der kleinere Personalfahrstuhl, der auf Erschütterungen sensibel reagierte und öfter mal stecken blieb, aber praktischerweise über ein Telefon verfügte. Auch deshalb wurde er ‚Bonzenheber‘ genannt. Luxuriös muteten damals aber auch die Toiletten an. „Es gab da warmes Wasser, das war schon was“, erinnert sich Nowald. „Da hat man ja zu Hause noch Feuer gemacht.“

Als die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen 1965 in den markanten Neubau in der Schöfferstraße einzog, hatte das Fach schon bewegte Jahre hinter sich. 1920 war die ‚Städtische Maschinenbauschule Darmstadt‘ aus der ‚Städtischen Gewerbeschule‘ heraus gegründet worden und 1923 untergebracht im früheren Gebäude der ‚Bank für Handel und Industrie‘ am Steubenplatz. Nach dem Vorbild der preußischen Maschinenbauschulen dauerte die Ausbildung vier Semester und wurde mit der Umwandlung in die ‚Städtische Höhere Maschinenbauschule‘ auf fünf Semester erweitert. 1940 ging daraus die ‚Städtische Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik‘ hervor, die jedoch im Zweiten Weltkrieg 1944 völlig zerstört wurde. Erst 1946 konnte sie im ehemaligen Lazarett auf dem Kasernengelände in der Eschollbrücker Straße 27 wieder eröffnet werden mit je einer Abteilung Maschinenbau und Elektrotechnik. 1951 wurde dort mit Unterstützung der kunststoffverarbeitenden Industrie und des Verbandes für Schweißtechnik eine Lehrwerkstätte zur Verarbeitung thermoplastischer Kunststoffe eröffnet, in der zunächst Mitarbeiter aus Industrie und Handwerk weitergebildet wurden, die später aber auch für den Lehr- und Übungsbetrieb der Ingenieurschule offenstand.

Motorenprüftstände im Laboratorium I für Kolbenmaschinen, um 1968 (Quelle: Staatliche Ingenieurschulen für Bau, Chemie und Maschinenwesen, Darmstadt)


Nachkriegszeit: Ein Gebäude ohne Heizung und Fensterscheiben

„Wir saßen auf Bierkisten mit dem Zeichenbrett auf den Knien“, erinnerten sich Jahrzehnte später ehemalige Maschinenbau-Studenten in einem Bericht des ‚Darmstädter Echos‘ über ein Treffen 2001. Das Gebäude habe weder Heizung noch Fensterscheiben gehabt, weswegen sie im Winter mit Handschuhen zeichneten. Ihr Weg vom Hauptbahnhof zur Schule habe sie durch ein Nachkriegs-Trümmerfeld geführt, und sie waren unter dem Schlagwort ‚Aufbaudienst‘ zu Aufräumarbeiten verpflichtet. Dabei hätten sie auch die alten Maschinen aus den Trümmern des ehemaligen Schulbaus ausgebuddelt, zerlegt, gereinigt und wieder aufgebaut. Ob Teile davon noch heute im Einsatz sind, ist nicht überliefert.

Wohl aber, dass im Jahre 1955 an den Ingenieurschulen hessenweit die Umstellung auf das sechssemestrige Studium erfolgte, damit die Studierenden sich besser und gründlicher auf die steigenden Anforderungen in Zeiten stetiger technischer Weiterentwicklungen vorbereiten könnten. 1958 wurde die Einrichtung vom Land Hessen übernommen und umbenannt in die ‚Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen‘. Mit Unterstützung der Stadt und des Förderkreises sowie in Selbsthilfe des Lehrkörpers und Personals wurde immer wieder umgebaut und saniert, Werkstätten und Labore geschaffen und 1960 eine zweite Abteilung für Maschinenbau eröffnet.

Einen Aufschwung erlebte parallel dazu auch die Kunststofftechnik. Durch die rasch steigende Bedeutung der Kunststoffe in allen Lebensbereichen wurde der Ruf nach einem Beruf des Kunststofftechnik-­Ingenieurs immer lauter, vor allem auch aus der Industrie. Gewünscht waren Ingenieure mit einer breiten Basisausbildung in Maschinenbau und mit soliden Kenntnissen über Verarbeitung und Anwendung von Kunststoffen. So wandelte sich die einstige Lehrwerkstatt zur eigenständigen Abteilung innerhalb des Maschinenbaus. Und weil beide Felder wie das Ingenieurstudium generell einen großen Andrang erlebten, das alte Gebäude in der Eschollbrücker Straße aber an seine Grenzen stieß, wurde ein Neubau nötig. Dessen Fundamente wurden Ende 1962 in der Schöfferstraße gelegt. Als nach der Fertigstellung die Staatlichen Ingenieurschulen dort 1965 einzogen und 1971 in die Fachhochschule umgewandelt wurden, entstand aus der Abteilung Maschinenbau der Fachbereich Maschinenbau. Auch Kunststofftechnik wurde zum eigenen Fachbereich – und war damit der erste an einer hessischen Fachhochschule.

Das Laboratorium für Kunststofftechnik, um 1968 (Quelle: Staatliche Ingenieurschulen für Bau, Chemie und Maschinenwesen, Darmstadt)


FH-Gründung mit eigenen Fachbereichen Maschinenbau und Kunststofftechnik

Im Gegensatz zum Einzug ins Hochhaus ein paar Jahre zuvor, wurde die Gründung der Fachhochschule von den Studenten offenbar als weniger einschneidend empfunden. „Da kam ein Dozent rein und sagte: ‚Sie studieren jetzt an der Fachhochschule‘“, erinnert sich Edgar Nowald. „Aber so viel hat sich dadurch nicht geändert.“ Zumindest zunächst. Das Studium sei damals sehr verschult gewesen, ein großer Teil der Dozenten hatte noch weiße Kittel an, es wurden Klassenbücher und Anwesenheitslisten geführt. „Zu dem Zeitpunkt war das noch erzkonservativ.“

Doch die Gründung der FH leitete einen Wandel ein beziehungsweise war Folge eines solchen. „1968 hat sich ja die ganze Gesellschaft geändert“, betont Dieter Schulmeyer. Im Semester vor ihrem Studienbeginn habe es einen studentischen Generalstreik gegeben mit der Forderung nach einer Aufwertung des Ingenieurstudiums und auch nach mehr Freiräumen. In der Hitze des Protests wurde da auch mal ein Eingang zugemauert oder das Haus des damaligen Verwaltungsdirektors mit Eiern beworfen. „Die Jungs vor uns kamen zu den Vorlesungen zum Teil noch mit Schlips, das hat sich bei uns gelockert“, stellt Schulmeyer fest. Damals sei in den Pausen viel politisch diskutiert worden. „Wir hatten noch einen richtigen Semesterverband.“ Nur habe es leider kaum weibliche Studenten gegeben. Nowald: „Da gab’s vielleicht mal eine in drei Semestern.“

Praxisnähe und attraktiver Partner für die Industrie

Weniger verändert hat sich der Lehrstoff. Das stellen Nowald und Schulmeyer nicht nur als ehemalige Studenten fest, sondern auch als Laboringenieure, die bis heute am Fachbereich Maschinenbau tätig sind. Aber bei den Methoden habe sich einiges getan. „Anfangs hat man noch mit Rechenschieber gerechnet“, sagt Nowald, der im Rechenzentrum, damals im 13. Stock des Hochhauses, noch Lochkarten gestanzt hat. Zwar habe es zu ihrem Studienbeginn schon Taschenrechner gegeben. „Aber die waren wahnsinnig teuer.“ Der erste Laborcomputer habe 20.000 Mark gekostet. „Heute kann man sich ein Labor ohne PC gar nicht vorstellen.“ Sie hätten noch stundenlang Diagramme per Hand gezeichnet, heute mit dem Computer gehe das alles schneller. An den modernen Prüfständen heute könne man in rasender Geschwindigkeit pro Sekunde einen Messwert erhalten, den man sich früher erst erarbeiten musste. „Die Kunst heute ist, Daten zu sortieren und Erkenntnisse daraus zu ziehen“, erläutert Schulmeyer.

Das galt etwa auch bei dem dynamischen Motorenprüfstand ‚Dynas-NT 145‘, der dem ‚Darmstädter Echo‘ 1996 sogar einen Bericht wert war. Gestiftet von der Firma Schenck, wurde das „500.000 Mark teure Juwel“ gefeiert „als Anfang eines ausdauernden und fruchtbaren Technologietransfers zwischen Hochschule und Industrie“. Schließlich wolle die Hochschule „ein attraktiver Partner für die Industrie werden“. Und das war in der Geschichte der Fachbereiche Maschinenbau und Kunststofftechnik nicht das erste und letzte Beispiel, dass ihre Praxisnähe greifbar und für die Öffentlichkeit interessant machte. So berichtete die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ 1991 über „Eine ganz ungewöhnlich großzügige Leihgabe“, über die keine andere Hochschule in Deutschland verfügte: Eine hochmoderne Drei-Schicht-Anlage hatte eine aus der Kunststoffindustrie heraus gegründete Stiftung dem Fachbereich Kunststofftechnik für Lehr- und Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. „Die Wirtschaft hilft der Fachhochschule, die Fachhochschule hilft der Wirtschaft“, war da zu lesen.
 

Forschung und Entwicklung werden zunehmend wichtig

Und das steht für einen Aspekt, der die vergangenen fünfzig Jahre an der FH stark prägte: „Was ganz wichtig geworden ist, ist die Forschung und Entwicklung“, sagt Schulmeyer. „Früher durfte man hier ja gar nicht forschen, das war eine reine Lehre.“ Doch das habe sich durch das Hochschulgesetz 1980 geändert. „Das war ein ganz gewaltiger Fortschritt.“ Dass sie heute über drei moderne Motorenprüfstände verfügten, sei für die Studierenden fantastisch. Und auch die Internationalisierung habe positive Effekte gebracht, ergänzt Nowald. „Diese internationale Verpflechtung der Universitäten ist ganz toll.“ Das erleichtere es Studierenden, ins Ausland zu gehen. Die Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master sehen die beiden Laboringenieure aber auch kritisch: Das habe das Studium für die Studierenden verschärft, weil sie in kürzerer Zeit mehr leisten müssten. „Das war ein Riesen-Einschnitt.“

Im Jahr 2007 wurden die beiden Fachbereiche Maschinenbau und Kunststofftechnik im Zuge hochschulinterner Neustrukturierung zu einem Fachbereich zusammengelegt. Räumlich aber liegen sie nach wie vor relativ weit auseinander, seit die Kunststofftechnik als bis dato bundesweit größte Ausbildungsstätte auf diesem Gebiet wegen steigenden Platzbedarfs 1997 in den Erweiterungskomplex im Haardtring umgezogen ist. Dort angesiedelt ist auch das 2007 gegründete ‚Institut für Kunststofftechnik Darmstadt‘, das die praxisbezogene Lehre fortentwickeln soll, aber auch Dienstleister sein will für externe Unternehmen. Es ist dies der jüngste markante Baustein in der Fortentwicklung einer anwendungsbezogenen Lehre und Forschung, die die Entwicklung des Fachbereichs genauso prägte wie die der gesamten Hochschule.

aw/mika